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Otto Breicha Diesseitig jenseits der Donau
in: Wien - Floridsdorf-Donaustadt, 1988 |
Etwas Ganzgroßes (größer als alles nur Größere) ist ein Unterfangen, das jedem künstlerisch "Schaffenden" je nachdem einmal vorschwebt. Was daran überhaupt gilt, gilt für Österreichisches insbesondere: Der "große" Roman, die monumental zusammenfassende Ausmalung oder ein medienverbündendes Gesamtkunstwerk sind Vorstellungen, denen gerade in Österreich das Schicksal des Unfertigen und Fragmentarischen notorisch anhängt. Der eine komprimiert, indem er (s)eine Vorstellung in die bewußte Nußschale zwängt, ein anderer träumt von einem universalen Sechstagespiel. "Unvollendete" Symphonien sprießen in der österreichischen Geistesgeschichte wie die Schwammerln im Wald. Heinz Cibulka gehörte früh zum engsten collaborierenden Sympathisantenkreis des Wiener Aktionismus. Heute ein beachtlicher (und dementsprechend auch beachteter) Fotograf, war er seinerzeit ein Lieblingsmodell seiner Freunde. Damals hat er jene Weltfühligkeit inhaliert (geistig und überhaupt), von der seine fotografische Arbeit noch heute zehrt. Heute wohnt er am Fuß des (auch allerdings nicht allzu hohen) Bisambergs und also inmitten jener weinträchtigen Zonen, die ihm in Wien die liebsten sind. Fotografisch bekundete, seit Jahren beforschte, notorisch in Bilderquartetten vorgetragene Gefühligkeiten sind Antrieb und Ziel seiner Lichtbildnereien. Es begann damit, daß er in Stammersdorfer Buschenschenken fotografierte, was ihm dort vor allem auffiel, indem er das gewisse Heurigen-Milieu, auf das es ihm ankam, "erläuterte". 1975 ist er dann zu jenen vier Bilderblöcken vorangekommen, die seitdem seine fotobildnerische Spezialität sind. Seinem Bildmaterial auf der Spur, streunt er, emsig Motive speichernd in den Gegenden, die er sich zum Thema seiner Portfolien nimmt, von denen es inzwischen an die dreißig gibt. Er lernt Land und Leute kennen, indem er sie fotografiert. Zufall spielt dabei (natürlich!) seine Rolle. Insbesondere aber bei seinen Aufnahmen vom transdanubianischen Wien, ist er aber ungewöhnlich systematisch, ja geradezu wissenschaftlich vorgegangen. Aus Tausenden Einzelaufnahmen wurden wie jedes Mal die jeweils ausdrucksstärksten und bilzweckdienlichsten herausgesucht, um zu Bildquartetten kombiniert zu werden. Ein gewisser vertrauter Umgang, eine gewisse Intimkenntnis vom "Wiener Becken" im Süden der Stadt, vom salzburgischen Hochgebirge, oder vom Mostviertel und Pechwald bilden die Voraussetzung. Und es ist also kein Zufall, daß er, über Reiseimpressionen und allfällige Auftragsarbeiten hinweg nunmehr den Wiener Grund und Boden thematisiert, aus dem er herkommt und in dem er bis über beide Ohren steckt. Das großmächte "Wien"-Projekt, das ihn seit 1980 beschäftigt, ist inzwischen bis zur zweiten Lieferung gediehen. 1984 hat Cibulka den ersten Teilband der Wiener City ("Innere Stadt") herausgebracht. Die zweiteilige Fortsetzung umfaßt das Wien jenseits der Donau, also die Bezirke Floridsdorf und Donaustadt. Nach dem, was die Ringstraße bedeutend säumt, sind es nunmehr Bilder einer von Industrie stark durchmischten Wohngegend. Waren die Bilder vom ersten Bezirk entsprechend "imposant" konzipiert, so gehört der gewisse Zwiespalt von Groß- und Vorstadt zum dargestellten nördlichen Wien. Was Cibulka in- und auswendig kennt, weil er dort wohnt, hat die ursprügliche (vorstädtische) Intensität verloren und eigentlich ist noch keine andere hineingewachsen. Weitläufiges und Großspuriges ersetzen jene wahrhafte Größe, die dort im Nordosten der Stadt keine "Tradition" hat (und dort auch nicht zu haben braucht). Für den wie auch immer gewachsenen "Kern" steht die für alles Mögliche durchlässige, durch Geschäftigkeit aufgemotzte Schale. Cibulka, an einer vor allem "lyrischen" Bildweise ertüchtigt, nennt seine vierteiligen Fotoblätter nicht von ungefähr Bildgedichte. Die vier jeweils zusammengestückten Fotos fungieren in etwa wie die vier Verszeilen einer Liederstrophe. Sie erscheinen so, als wären sie miteinander gereimt, im eigentlichen Sinn aufeinander "abgestimmt". Daß es sich mit seiner auf insgesamt zwölf Fortsetzungen (zu je zwei Mappen) konzipierten "Wien"-Arbeit auf etwas überaus Kompliziert-Komplexes eingelassen hatte, war ihm von Anfang an bewußt. Dementsprechend ist das Ganze auch in seinen Teilen ganz auf diese Ganzheit hin entworfen und reguliert. Jedenfalls schwebt ihm mit den schlußendlich etwa dreihundert Fotoblättern seiner vierundzwanzig dem Thema "Wien" gewidmeten Fotobilderbände das Porträt einer Stadt vor, wie es Joyce im "Ulysses" für seine Vaterstadt Dublin versucht hat: Die bewußte "Heimatstadt" nicht nur als städtischer Standort, sondern als ein empfindlich wahrgenommener Erlebnishintergrund; als etwas, das ihm seine Bildeinfälle zuspielt, aus dem eins zum anderen findet. Daseinfülle war ihm dabei stets ein Anliegen. Jene Bildbestandteile sind ihm die liebsten, die sich sinnvoll zu etwas Um- und Zusammenfassenderen ergänzen, als es ein einziges Bild gewährleisten könnte. Die in großer Menge eingeheimsten Aufnahmen unterstützen und verbünden sich. Sie ergeben erst miteinander jenes Gespinst von Beziehungen und subtilen Wahrnehmungen, auf denen Cibulkas Fotokunst fußt. Sie vermitteln, was fotografische Bildersprache auf ihre Art und besondere Weise zu vermitteln vermag: etwas, was sich an alle Sinne wendet und vieles zugleich zum Schwingen bringt. Cibulkas Fotografie ist eine ganz und gar suggestive. Sie entsteht aus unbändigem Schauvergnügen und leidenschaftlicher Wahrnehmungslust. Sie möchte wissen lassen, wie es womöglich tönt, schmeckt und riecht, welche besondere Empfindungen bei Berühren und Begreifen entstehen. Assoziationen und Symmentrien, Gleichklang und Gegenläufigkeiten aufeinander abgestimmt und gegeneinander ausgerichtet. Psychologen müßten an den Fotoblättern Heinz Cibulkas ihre reine Freude haben, wie sie für Literaten ein ausgesprochenes Fressen sind. "Draußen steht einer, der hat violette Socken an, und behauptet, Sinnlichkeit sei das Höchste", schildert Flesch-Brunningen in seinen Erinnerungen an das früh-expressionistische Wien das Auftreten des jugendlichen Dichters Ernst Angel in der Oberprima seines Gymnasiums. Von derlei Behauptungen und Grundsätzen zehrt die (bessere) österreichische Literatur bis heute. Sie sind auch aus der österreichischen Bildkunst nicht wegzudenken. Geballte oder nervös differenzierte Sinnlichkeit war für die Wiener Aktionisten vor bald einem Vierteljahrhundert etwas, worauf es vordringlich (und mitunter geradezu ausschließlich) ankam. Lebenskraft und Lebensmacht (bei aller Ausuferung ins Geistige und Umfassende) spornen den Cibulka-Freund Hermann Nitsch bis heute. Differenzierte Sensibilitäten waren der Inhalt der wenigen, fotografisch dokumentierten Aktionen Rudolf Schwarzkoglers (und eben das, was sie von anderen sogenannter Ereigniskunst anderswo sehr wesentlich unterscheidet). Beträchtlich hat Cibulka auch vom Filmemacher Peter Kubelka profitiert, der Kochen und Essen als Kunst und als eine Art Weltanschauung praktiziert und in seinem Afrika-Film (und gewiß erst recht in dem geheimnisumwitterten, über dem er seit Jahren sitzt) eine äußerste Konzentration sinnlicher Wahrnehmungen bewirken möchte. Für Cibulka ist dergleichen zur Überzeugung geworden, als er noch längst nicht fotografierte. Die Fotografie, die er nunmehr ausübt, versucht ein Gleiches mit fotografischen Mitteln. Seine Fotoblätter sind Bildgewebe, deren Besonderes im ganz Gewöhnlichen (Alltäglichen) steckt. Dazu steht ihm eine in den Jahren entwickelte reiche Bildsprache zur Verfügung. Seine vierblättrigen Fotobilder sind fotografische Botschaften, die nicht so verstanden würden, wie man sie versteht, wenn man nicht aus dem eigenen Erleben wüßte, was sie ansprechen und empfinden lassen wollen: Sinnenhaftes allemal und immer wieder. So wie der junge Ernst Angel es bekennerisch behauptet hat, ist Sinnlichkeit auch für Heinz Cibulka das Höchste (aber noch längst nicht alles). Selber begierig, bewirkt er den Augenschmaus, den er seinen Betrachtern auftischt. Alles mögliche fällt im auf (und ein), was auch dem Betrachter beim Betrachten dieser Fotoblätter gefälligst auf- und einfallen sollte. Das Bild ist ein Bild, das andere Bilder bedingt. So etwa z. B. die Ansicht einer Glatteis-Warntafel, eine ganz bestimmte Wokenwetterstimmung sowie die Szene vom Wegschaffen eines Autowracks. Oder wenn, weniger offensichtlich und "einleuchtend", Etliches aus etlichen Richtungen zueinander herbeigezogen wird: verdrehte Astgabelungen, aufgehängte Autoreifen und allerhand Kunststoff-Abfall mit dem Manöver von Segelbooten auf der Alten Donau. Mitunter ist es ein Kontrast (oder Widerspruch), der das Verschiedene zusammenbringt und beieinander hält. Wie überhaupt beim Wienerischen ist die Gefahr dekorativer Lösungen durchaus gegeben. Cibulka begegnet einschlägigen Verlockungen mit bewußter Sprödigkeit, indem er bewußt auf Unansehnliches, ja Triviales, bei den Teilelementen seiner Bildzusammenstückungen achtet. Manches soll sich getrost mit manchem reiben, damit das besodere "Fluidum" seiner Fotografie ensteht, die (und bei seinen Wiener Blättern insbesonders) auf die gewisse kennzeichnende Aura seiner Gegend hin angelegt erscheinen. Auf seine Art (und mit seinen Mitteln) erzählt Cibulka von Begebenheiten und Schicksalen. Sogar Umwelt- und Lebensprobleme werden angetönt (wenn auch, natürlich!, nicht gelöst). In Fotobildern reportiert Cibulka industrielle Installationen, die er rosaroten Blütenblätterschlünden eindrücklich gesellt, Körperschprachliches einsetzt (und also insgesamt jenen Zusammenklang bewerkstelligt, auf den es ihm ankommt). Luftbilder rutschen zum Tisch eines Ostereieranmalers. Entweder ist es Ähnliches oder auch das Ganzandere. Geschmackvolles, das betroffen macht, weil es so ganz konkret ist: wie der (beinahe riechbare) Kaffee in der Schale eigenartig einem Mädchengesicht gegenübersteht, oder ein goldgelbes Glas Honig dem patriotischen Rotweißrot am städtischen Volksheim. Hinweise daher und dorthin, angedeutete Bedeutungen, Unbekannteres zum Kennenlernen, zusammen mit dem, was man zu kennen glaubt, damit man es besser weiß. Cibulkas Bilderschaltplan funktioniert instinktiv einer (seiner ) Bilderwitterung zufolge, aber auch in der Überzeugung, daß was dabei herauskommt, nicht nur ein Bild, sondern ein gutes Bild sein muß, um gehörig zu beeindrucken und zu überzeugen. Von ähnlichen Überzeugungen durchdrungen handelten und handeln auch diejenigen, auf die sich Cibulka bei seiner Arbeit beruft. Eine "gute" und "richtige" Form ist ihm dabei ein selbstverständliches Ziel. Sie berührt nicht nur eindrucksvoll und gekonnt, sondern zugleich zielführend und sinngebend. Cibulka verweist, indem er veranschaulicht, und veranschaulicht, indem er hinweist. Seine Fotoblätter sind Anstiftung zu kreativem Erspähen und Betrachten, ein Anschmecken und Auskosten verschiedenster Situationen. Das Kombinieren solcher Situationen ist (auch dem Bildverfertiger selber) ein Abenteuer, das es wieder und wieder darfürsteht. Innovation bedeutet für Cibulkas Fotografie längst keine formale Verwilderung und Ungewöhnliches aus Bestem, sondern schließt selbst im Wiezufälligen seiner Bilder Zufall und Beliebigkeit aus. Sein Bilderassoziieren erfolgt wie selbstverständlich, aus freizügiger Entscheidung, aber nicht als lockerer, nächstbester Bilderverbund. Ob neuartig oder ehrwürdig gilt ihm gleich, ob anspruchsvoll oder "trivial", wenn alles nur dementsprechend aus dem Erleben hervorgeht. Was Cibulka (ver-)sammelt und zusammenstückt, sind nicht nur aufeinander abgestimmte Essenzen, sondern möglichst auch optische Konzentrate. Wenn nur genug wesentlich und konzentriert, ist es ihm im Grunde gleichgültig, woher immer das kommt, was er nimmt. Es ist nun einmal eine Tatsache, daß die entschiedensten Erneuerer im neueren österreichischen Kunstschaffen die besten Kenner (und Verfechter!) hochrangiger Tradition sind. Kaum anderwo gibt es eine vergleichsweise ähnliche (hochprozentige) Kontinuität für das, worauf es, sowohl/als auch, entscheidend ankommt. Wie ihn, ganz in diesem Sinn, vieles angeht, das es unter Umständen seit eh und jeh gibt, ist die Neuartigkeit der Fotografie Cibulkas nicht auf den ersten Blick hin offensichtlich. Ihre (neue) Sensibilität ist in den zu Bild gebrachten Tatsachen enthalten, schwingt zwischen ihnen und bewirkt insgesamt die geradezu auratische Zusammenfindung. Vieles ist daran für Cibulka so selbstverständlich, daß er erst gar nicht davon reden möchte. Für ihn kommt das meiste und alles in seiner Eigenart "in Frage". Alles weitere Herausfinden und Zusammenflechten könnten ein Bewußtmachen im Sinn einer allmählichen Läuterung der Bildsubstanzen beschrieben werden. So ist es denn auch ein bewußt bewußter Gemachtes, badacht Gefiltertes, auf den "Blickpunkt" gebrachtes, dingfestes Wien: ein Wühlen und Wählen unter Eindrücken und Einfällen. So sind es Bild-Gedichte als ideografische Satzbauten, erfotografierte Bildsilbengefüge, auf Bezüglichkeit und Überraschungen abgestimmt. So ist es kein nächstbestes Durcheinander, sondern erwogene Bildblockbildung. Ein Sportler verschränkt die Arme vor dem nackten Oberkörper, wo dazu eine Kruzifix-Figur vom Wegkreuz die Welt umarmt. Ein Vorstadt-Gasometer in seinem Gerüst-Korsett hat (farbig, formal und überhaupt) manches mit den runden Meßgeräten vom dazugespannten Bild gemeinsam, während der Beziehungsvergleich einer Hauswand mit herbstverfärbtem Blätterwein, mit dem Jüngling, der die Freundin sonnenölt, da schon viel weiter hergeholt wurde. Was hat (wenn überhaupt) ein Nest roter Blumen mit der Erzeugung von Glühlampen und diese mit einem Kopf voll Lockenwicklern zu tun? Form- und Sinnzusammenhänge werden deutlich, indem Cibulka sie auf seine Weise verflicht. Cibulka möchte den Betrachter auf seinen Wegen ein Stück mitziehen und miterleben lassen. Das Zubeobachtende soll gehörig bemerkt und das Bemerkte dementsprechend beobachtet werden. Das eine Mal ist es die subtile farbige Übereinstimmung, das nächste Mal eine ähnliche Form oder Erscheinungsweise. Manchmal sind es Vorstellungen, wie etwas Abgebildetes auch sonst sein müßte, dann wieder Erinnerungen, was derlei einmal wie gewesen ist. Jedes Portfolio (und die zum weiten und breiten Thema Wien sowieso) sind das Erfassen und sich Einverleiben einer Gegend. Jedes (und die Wien-Folgen insbesonders) haben einen regelrechten Bilderschlachtplan zur Voraussetzung. Ein fotografierender Zeitgenosse nimmt wahr, was sich ihm in/an der Welt, in die er nun einmal hineinversetzt ist, aufdrängt. Ein komplexestes Vorhaben alles in allem, ohne Anfang und Ende. Er selber muß es wissen und entdecken, wann es genug ist, wann in seine Bilder und Teile ausreichend viel Empfindung (und Gefühle) hineingewirtschaftet wurden, um von dort wie Echo wiederzukommen. Seine Fotoblätter funktionieren wie Bildakkumulatoren, die ausstrahlen und wiedergeben, womit sie geladen sind. Auf der österreichischen Fotoszene ist der damals um Etliches jüngere Heinz Cibulka mit einem Mal aufgetreten wie seinerzeit für Flesch-Brunningen der expressionistische Jungdichter Ernst Angel: zwar nicht mit violetten Socken an den Füßen, aber davon druchdrungen, daß Sinnlichkeit in der Kunst wie im Leben etwas Hohes (oder gar Höchstes) ist. Cibulka wurde als erster mit dem damals gerade geschaffenen österreichischen Staatspreis für Fotokunst ausgezeichnet: für die unverblümt menschliche Qualität seiner Fotobilder, wie die Jury ihre Entscheidung für Cibulka begründete. Und gewiß wäre Cibulka wirklich der letzte, der seinen Spezi Mensch, den weiten und breiten Gegenstand seiner Fotografie, von seiner Sinnlichkeit loslösen (erlösen?) wollte. Eine Fotografie des Menschen, seiner Gegenstände und Angelegenheiten wäre ihm wie ein Fotografieren ohne Licht. Der Film in der Kamera bliebe stumpf und schwarz . . . |