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Günter Brus

IRDISCHER KOSMOS

 

in der Mappe: bruseum, 2006



Das Auge erblickt die Dinge ringsum irgendwie gleichgültig. Der Blick gleitet über die Dinge hinweg und hält nur inne, wenn ein Gegenstand sich als brauchbar erweist, wozu auch das schöne Abendrot zu zählen ist.

Cibulka jedoch schafft ein Bildlexikon der Horizonte und der ganz nahe liegenden Dinge. Ein Sichtbarwerden des Verlorenen, Verlegten oder Unbeachteten, ein Aufheben der Distanz zwischen Haupt- und Nebensachen. Der Welt zugewandt ist seine Kunst. Unbelichtet liegen seine Landschaften da, wo er noch nicht war.

Cibulka, der intelligenteste Fotokünstler Österreichs, arbeitet teilweise mit dem kalkulierten Zufall. Ich sah ihn oft den Auslöser betätigen, ohne durch den Sucher zu gucken. Er entwickelte seine „Bild-Gedichte", indem er Serien in Viererblöcke zusammenfasste. Die Abfolge der Fotografien unterliegen keinem Bauplan eines Würfelspielers, welchen Lautreamont ins Treffen führte. Vielmehr weisen die Fotos der Viererblöcke auf eine Assoziations-Mathematik hin, die aus Kopf und Bauch entstehen, wo jedes Sujet aber unverrückbar seinen Platz einnimmt. Häufig

überrascht er den Beschauer durch einen unvermuteten „Blickwechsel", gleich einem

dissonanten Akkord von Strawinsky. Wie Hugo Wolfs „Spanisches Liederbuch", oder Franz Schuberts „Winterreise", fügt er seine „Bild-Lieder" zu einem Zyklus zusammen. Er kam über die Ästhetik von Hermann Nitsch zu einer eigenständigen Sichtweise und Methodik.

Insgesamt schafft er mit jedem Zyklus ein in sich geschlossenes Großes und Ganzes, dem man kein Teilchen hinzufügen oder weglassen kann. Anton von Webern nannte dies „Fasslichkeit". Bemerkenswert sind aber auch die Fotomontagen österreichischer Klassiker. Man könnte sie als „Porträt-Gedichte" bezeichnen.

Cibulkas Fotos bilden ein breites Panorama zwischen Leben und Tod. Breite Weizenfelder des Weinviertels werden mit einem toten Haustier, Devotionalien mit Blutwürsten konfrontiert. Hasenpfoten im Schnee, durchkreuzt von den Spuren eines Langläufers. Eine Partitur einer anderen Winterreise, aus der Vogelschau gesehen. Es liegt nahe, bei seiner Fotolyrik an Adalbert Stifter zu denken. Er pflastert unseren Wanderweg mit bunten Steinen. Die jüngst entstandenen Fotomontagen, gesehen in China und Korea und zusammengefügt in seiner Weinviertler Heimat, gleichen Ikonen der immerwährenden Ruhe. Diese Inbilder des Friedens wären als eine Therapie für Hektiker und Hysteriker denkbar.

Man kommt nicht umhin, Cibulkas „Sehfreude" zu beglückwünschen. Kein Ding ist groß und klein genug, um von ihm nicht wahrgenommen zu werden. Er dringt in die Seele der Weite und Tiefe. Er sieht keine Notwendigkeit, die Sachen für eine politische oder nihilistische Bildbarmachung im Sinne der Dadaisten zu missbrauchen. Er hält Ausschau nach dem Übersehenen, nach einem Überblick des Übersehenen.

Er blickt, weil er ist.

Er ist ein „Augen-Blicker", rastlos auf der Suche nach dem Urbild, nach dem Bild, das auch Blinde sehen.

Aber ihm wird nie schwarz vor den Augen. Man muss ästhetisch nicht abartig sein, um seine Bilder riechen zu können. Sind wir froh, dass ein schlagendes Herz einmal nicht schwarzes Blut pumpt, dass eine heitere Jetztheit angestimmt wird.

Die Tragik des Seins wird zunichte gemacht durch tausendfältige Augenblicke, die im Grunde einen ewigen Frühling bestimmen, eine Auferstehung im märchenhaften Sinn.

Mai 2006


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