Günter Brus
Der Weinkeller
Für Heinz Cibulka, den hast- aber rastlosen Kurier
zwischen Werden und Vergehen.
in der Mappe: bruseum, 2006
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Eine rostige Sichel lag im Gras. Mehrere braungefaulte Äpfel lagen daneben.
Wir hatten die Abkürzung über die Wiese genommen. Wir näherten uns dem Geräusch
einer Motorsäge. Einer von uns behauptete, er kenne den Weg. Wir vertrauten ihm,
obgleich er den Unterschied zwischen Weizen und Gerste, zum Beispiel, nicht
kannte. Der Himmel war von einem frischen Blau, ungleich heiterer als jenes unserer
Schulheftumschläge aus der Knabenzeit. Das Geräusch der Motorsäge verstummte.
"Da, ein Fuchs!" flüsterte aufgeregt einer von uns. Als wir in die angewiesene Richtung blickten,
war das Tier nicht mehr zu sehen. Einige schienen dies zu
bedauern. Ich dachte an die Wutkrankheit, an die Maul- und Klauenseuche und an die
Hühnerpest. Und ich dachte an das Hornissennestausräuchern. Ein Fuhrweg
war da und ein blaugeschürzter Mann von einem landwirtschaftlichen Gerätebetrieb
kam auf einem ältlichen Motorrad daher, auf dessen Kühlerhaube ein Bub, mit
einer Turnhose nur bekleidet, saß. Der Landwirt hielt an und zeigte uns den rechten
Weg zu den Weinkellern. Bald hernach erreichten wir das Ziel, wenngleich wir
wussten, dass es dem unseren nur sehr ähnelte. Es war auch ein Weinkeller. Aber
der von uns angestrebte war er nicht. Insgeheim wusste dies ein jeder von uns,
doch keiner gab es zu. Vor der gewissen Kellertür wurden wir von einem älteren Herrn,
neben welchem ein hinkender Hund unwirsch nach einer Erdwespe
schnappte, freundlich empfangen. Wir standen alsbald im Halbkreise vor den beiden und
plauderten wie die unschuldigen Kinder vor der Himmelstür. Hernach kam
eine Frau aus dem Kellerdunkel und lud uns ein, die Stufen zum Keller hinabzusteigen.
Manche von uns zögerten, manche zierten sich in der Höflichkeit, andere vorzulassen,
und endlich war ein Getuschel im halbdunklen, wohlig-kühlen Raume. In einer Nische
lag ein selbstgebastelter Apparat zur Herstellung wirklichkeitsnaher Bilder. Bald
wurde das Gespräch reger, denn alle wollten wissen, wie und warum dieser Gegenstand
in die Nische gekommen. Doch unsere Gastgeber wussten darüber keine Auskunft zu geben.
Mir schien, sie schickten sich verstohlen Blicke zu, welche von einem merkwürdig
ängstlich anmutenden Mienenspiel begleitet waren. Unsere Runde wurde ob des
dargebotenen Trankes bald sehr fröhlich, und eine ausgelassene Heiterkeit machte
sich breit. Man trank und sprach kreuz und quer und man vermied es, übers Kreuz
sich zuzuprosten, in der Angst, ein Unheil könne einem deshalb in die Quere kommen.
Bald hatte man den selbstgebastelten Apparat in der Nische vergessen und ein lustiges
Gejohle schwankte im Bauch des Gewölbes. Einmal nur äugte der hinkende Hund von der
Gasse nach unten. Scherzhaft schwenkten wir ihm die Gläser zu, worauf er im Gegenlicht
verschwand. Einer von uns erging sich in improvisierten Schauspielkünsten, ein
anderer versuchte ihn davon abzulenken. Jemand besann sich seiner Vorfahren
und alle wollten sich zugleich auch ihrer Vorfahren besinnen. So entstand
ein wahres Ahnencrescendo, welches nun kein Ende haben wollte, als plötzlich
in einer finsteren Ecke ein Balken krachte und schimmelfeuchtes Mauerwerk von
der Wand rieselte. "Mürb und morsch", sagte der Mann, der uns so freundlich empfangen.
Man erging sich dann in fantasievollen Gesprächen über dies und jenes. Sätze
rauschten durch den Raum und so manch ein Satz löste ein verzücktes Gelächter aus,
obgleich die Qualität dieser Weisheiten an einem anderen Platze und unter anderen
Umständen wahrscheinlich gelitten hätte. Und dann lachten wir wiederum, als einer
von uns sagte, die edle Berauschung wäre ein unlauterer Wettbewerb mit den Engeln.
Und wir lachten gleichfalls, als ein anderer meinte, sie wäre ein lauterer
Wettbewerb mit den Teufeln. "Ein lauter, ein lauter Wettbewerb!" schrie dann
einer und wiederholte diesen Satz solange, bis er einsehen musste, dass ihn
niemand verstehen wollte. Die Frau, die uns in den Keller geführt, ermunterte
uns, die tieferen Keller, welche da noch wären, für eine kurze Besichtigung
aufzusuchen. Jener, der Weizen von Gerste nicht unterscheiden konnte, rieb sich
die Hände und sagte: "Das ist hier so der Brauch!" Wir alle fühlten, dass dieser
Brauch anderswo kaum anders sein konnte, hier aber eine besondere Bedeutung haben
musste. Die Frau schritt also voran und hinterher schritten wir hinab, und der
Mann leuchtete mit seiner Laterne uns hinterdrein, so dass unsere Gestalten einen
wirren Schattentanz auf dem schwarzfeuchten Mauerwerk auslösten. Und da niemand
ein Wort nur sprach, sprach der Atem aller einen angstvoll-leisen Choral. Wir
betraten dann ein plattes Areal aus Müh und Plag: bräunlich gestampften Lehm,
die Liegestatt der schwangersten Düfte, darauf im Laternenschein Katzensilbersternlein
flunkerten die Gärgasarena der unerlösten Berauschungsgeister.
Unser Licht erlosch!
Tiefschlafschwarzer Wein breitete sich auf der kühlen Arena der Gärgase aus,
gleich einem breiten Largo aus Unfallblut und Schnapsbrüderjauche. Bittere
Kerne prasselten von oben her auf unsere Häupter: gerebeltes Mutterkorn.
"Der Deiwelsduwack!" sagte einer und wir alle lachten und klatschten in die
Hände in dieser Finsternis.
Das totgeschwärzte Firmament wurde mit einem Male grellgrün und weißglühende
Schleierfische sausten wie brüllende Trompeten, die menschliches Wundfleisch,
zerfetzt und am Mundstücke festgewachsen, hinter sich herflattern ließen, in die
grellgrünen Schrillen der Unendlichkeiten. Unfassbar bleiche Spiralnebel
erzeugten
unfassbar dröhnende Phantomchoräle, weit weit jenseits der Schmerzensgrenze.
Ein Schaukelpferd rotierte um seine Schläfenachse, beißendes Nesselkraut aus
dem
Erdreich sengend. Im Zwielicht der singenden Sägekammer ächzte das Gedächtnis
des Hühnerhabichts die Historie wund. Gestockte Kriegsblutklumpen polterten auf
Salpeterwüsten. Die röchelnde Kathedrale des Partisanen- Demiurgen brach
aus der Salpeterwüste und zerfiel im Infernal aller Farben, Düfte und Töne.
Der Hochaltar, ein Gebrest aus Granit und Gold, zerfiel zu Staub und Heidensalz
und dieses ward von einem grässlich wulstfettigen Rüsselyak eingesogen.
Feuer! Feuer!
Glorienschein, Rosarium der Bestien!
Ein Beißkorb, geflochten aus Mammutadern, vier Meilen hoch und etwa zweieinhalb
Meilen im Radius er sackte in sich zusammen, trübes Graulicht zur Erdtiefe treibend:
ein Spiralbohrer der Depressionen des geächteten Salamanders. Einem
wutkranken Elch tropfte die Knochenschaukel wie Pech vom Haupt. Die Bauernbibel,
welche der Herr Superintendent Vitus Peißer in der Sakristei verwahrt hatte,
verfleischlichte sich und jedes geschriebene Wort wurde wahrhaftig Fleisch
und alle Drohungen, alle Versündigungen wurden in der Abstellkammer der
Geheimnisse bare Wirklichkeit. Der Jammer des glühenden Stiers prallte gegen
den Gong des Mondes, einen Kugelblitz in einen aquamarinen Würfel verwandelnd.
Alle Früchte der Natur und der Erfahrung wurden durchsichtig und aus Glas
ward die Zeit. Nur das Tabernakel behielt seine irdische Masse an Farbe, Form
und Duft. Darin aber entströmten einer entkorkten Bauchflasche schwefelige
Reizdämpfe. Kein Gott fand sich im Eternum, das zunehmende Licht zu bergen.
Das Licht nahm zu, das Feuer schmolz im Überfeuer, welches nur noch als eine
wirre Formel dem Urian bekannt sein konnte. Von einer galligen Kugel tropfte
die Fälschung eines gutgemeinten Erdenglücks. Im gläsernen Fingerhütchen,
welches Frau Melancolia über den Jochbogen der Einsamkeit geworfen, entschlief
ein sinkender Stern für immer. Aus dem Kondukt grinste ein Fluch.
Ein fahlgelber Bleichnam lag im welken Herbstlaub.
Ein Tautropfen platzte im Auge des weißen Ebers.
Ein schweres Rotweinfass polterte die Stiegen hinab, zersplitternd im düsteren Orte,
gewaltige Lichtturbinen ausspeiend. Wir fanden uns in den Kreißsaal der
Gestirne gestellt. Aus einem unklaren Teil unseres Zusammenseins drang eine
Stimme, welche uns besseren Mut zusprach, nämlich, ihr zu folgen. Die Stufen,
die wir nun betraten, erglommen in allen Farben aller Früchte und Edelsteine aus
Süd und Nord und Ost und West und aus den Farben formten sich Dämpfe von
leichterer Weise, welche unsere Sohlen hoben und unsere Körper hinanhoben,
so dass wir in das taumelnde Gewölk eines barocken Hummelhimmels torkelten,
gehonigt vom Sonnenrausch des Daseins, des schrankenlosen Leichtnisses ...
Die gleißenden Lichter erloschen.
Stille, Agonie des Lärms ...
Ein Zählwerk begann gleichmäßig zu ticken. Die Schritte des gereizten
Imkers mischten sich hinzu und das Gescharre der Jätkralle des geehrgeizten
Gärtners und das Gurgeln und Glucksen des Süßmosttrinkers
und das Gestöhn des Rammlers
und das Rascheln der Maisfechsen
und das zischelnde Bullenfett in der Pfanne
und das Husten des fieberkranken Sauschneiders
und das Zischen der Schwefelstangen im Vitriolkanister
und die Explosion der Schlachtsamen
und die fernen Sturmglocken im Silo
und die Empfängnisschreie der Rättin
und es formte sich eine Brunstfuge gleich einem ewigen Platzkonzert in einem
endlichen Nichts. Gebrochenen Auges sahen wir einen Saal, dessen Wände von
rosigen Frischfleischtapeten beschlagen, darauf Gestecke von
Zyankal-Zyklamen glühten. Seitlich würgte eine pottwalgroße Schnecke
sieben kleine Zicklein aus. Ein Architran aus gestockten Brunftschweißklumpen
ward in aller Kürze erbaut und darunter zeigte sich ein tiefster Schacht,
darin von einem garstigen Kräuterbittermännlein Blockeisklumpen in die Schnäbel
der hilflosen Pelikane geschaufelt wurden. Ein siechgelymphtes Kropfweiblein
sägte anbei am Stamme eines tausendmal größeren gedrungenen Wulstlings.
Muttermundeiter quoll aus seiner Wunde. Dralle Mikrobenweibchen
schmatzten am Geschlechtskehricht der Filzassel. Ein allzu später Heimkehrer
verbrühte im heißen Gespei der gottesanbetenden Geburtshelferkröte. Engel,
lieblichst herabgemenscht vom Gold des Weines, blätterten in einem Buche aus
zierspinngewebten Lamellen:
Schierlingsweihe
Lebensgefahr
Krötenstuhl
Lebensaltar
Fliegenteufel
Lebensgefahr
Marillenmanschette
Lebensaltar
Gurgelmagen
Lebensgefahr
Trommelschlegel
Lebensaltar
Ziegelroter Faserkopf
Lebensgefahr
Runzelschüppling
Lebensaltar
Gallenteufel
Lebensgefahr
Brachmännlein
Lebensaltar
Wolfsrauch
Lebensgefahr
Lohtäuberl
Lebensaltar
Bauchwehkoralle
Lebensgefahr
Nonnefürzli
Lebensaltar
Eselsforz
Lebensgefahr
Bubenforz
Lebensaltar
Satansbrätling
Lebensgefahr
Woazrecherl
Lebensaltar
Saudobernigl
Lebensgefahr
Schwarzes Trauerharz, Träne des verbrannten Auges.
Schau in den Schauder.
Rausch, Kapelle im Dom Unendlichkeit.
Blut, prallroter Kaiser des Zorns. Arbeit, Fleißaufgabe der
Ruhe.
Überschwang, Reiseleiter der Räusche.
"Bitte noch ein Glas!"
"Bitte noch ein Faß!"
"Bitte noch ein All!"
Gleich endlosen Litaneien peinigten die berstenden Bilder die Schauenden
und beglückten sie zugleich, dem Takte des Lust-Unlust-Motors gehorchend.
In der Nische stand ein selbstgebastelter Apparat zur Herstellung
wirklichkeitsnaher Bilder. Die Linse, ein wundersames Keimloch, brach
und wir taumelten hinaus ins
Freie. Der Hund schlief im Schatten eines Mostbirnbaumes. Jener Blaugeschürzte
kam mit einem Traktor des Weges und erbot sich, uns heimzuführen.
Wir lagen auf dem Anhänger, himmelundhöllspieltief berauscht.
Mehrere braungefaulte Äpfel lagen im Gras. Eine rostige Sichel lag daneben.
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