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Heinz Cibulka Fotografie als Dokumentation von Aktionen
Zu den Aktionen von H. Nitsch anlässlich des Katalogdruckes Bildgenerationen 2 Luxembourg, 2003 |
Mit dem Dokumentieren der Aktionen von Hermann Nitsch habe ich 1979 begonnen. Damals erhielt ich von Otto Breicha den Auftrag, für die Protokolle einen fotografischen Beitrag als ein Portrait zur Person und dem Werk des Künstlers Hermann Nitsch zu leisten. Von da an fotografierte ich immer wieder bei Aktionen von Nitsch. Ich kenne seine Anforderungen an die Bild-Medien, seine Arbeit nachvollziehbar zu präsentieren und habe dafür eine Art Fotografie entwickelt, die eine spätere Einsicht in das Werk Nitschs erleichtern kann. Meine Erfahrungen mit Bedingungen und Abläufen von Aktionen durch meine frühe Mitarbeit bei Nitsch haben zu praktischen Überlegungen geführt, die mir beim Fotografieren der Aktionen wichtig erschienen: möglichst sachliche Auflistung der Objekte, Handlungen und sowie der räumlichen Gegebenheiten, bei Einnahme immer wieder gleicher perspektivischer Standpunkte. Mit dieser einerseits sachlichen Vorgangsweise und andrerseits meinem auf sinnliche Wahrnehmung geschulten Einfühlungsvermögen beim Fotografieren kann sich für späteres Interesse u.a. eine chronologische Lesbarkeit der Situationen und des Ablaufs der Aktion ergeben. Nicht zuletzt aber bewirkt die Bildregie über ein Auflisten von Fotografien hinaus, bei der Zusammenstellung der Fotografien eine poetische Verdichtung. Beim Sammeln fotografischer Details bleibt das einzelne Foto vorerst noch wertfrei, erst mit der erkennbaren Absicht, der Verwendung in einem Bedeutungsumfeld erhält das Foto als Zeichen einen Sinn. Nach dem Fotografieren ergibt sich ein Pool von Bildern, der für unterschiedliche Anforderungen nutzbar ist. Neben der chronologischen Lesbarkeit habe ich genug Material für bildsprachliche Aussagen, die sich über das Assoziationsvermögen und den Bilderschatz der Betrachter aufschlüsseln. Fotografische Dokumentationen zum Orgien Mysterien Theater von Hermann Nitsch nehmen innerhalb meiner Arbeit eine Sonderstellung ein, da ich sonst, mit seltenen Ausnahmen keine Dokumentationen zu künstlerischen Projekten mache, aus welchen, nach Wahl des Bestellers, einzelne Photos herausgenommen werden, die dann in mir unbekannten Bedeutungsverbänden genutzt werden können. Bei Nitsch mache ich eine Ausnahme, weil ich die Tendenz der Arbeit gut kenne und glaube, dafür einen passenden Arbeitsrahmen gefunden zu haben. In einem gewissen Sinn kann ein Theaterstück auch als Primärerlebnis gewertet werden, ein Darstellungsversuch mittels Fotografie, also ein künstlerischer Umsetzungsprozess, könnte deshalb ähnlich wie bei einer ungebundenen fotografischen Arbeit verlaufen. Bei meinen Bildgedichten und digitalen Bildcollagen verlangt die kompositorische Arbeit aber genügend Möglichkeiten, Widersprüchen und absurden Faktoren Platz zu lassen. Eine Dokumentation mit selbst auferlegtem oder angenommenem Briefing (im Sinne einer bestimmten Absicht) verträgt selten ein neuerliches Einbetten in ein weiteres künstlerisches Konzept. Geschichtlich gesehen lässt sich denken, dass jene Bildzeugnisse, die später einmal zu den wenigen Unterlagen von aktionistischen Theaterwerken gezählt werden, mit den übrigen Beschreibungen, Interpretationen, Relikten und Partituren zum eigentlichen Werk zusammenschmelzen werden. Die offene Frage der Darstellbarkeit einer räumlich aufgeführten, alle Sinne beanspruchenden Aktion verweist auf die spätere potentielle Rezeption mit dem Wissen, bzw dem Gefühl für die Wirksamkeit synästhetischer Effekte. Es wird eine neue Form der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher sinnlicher Eindrücke in einer nachschöpferischen Rezeption verlangt. Die Bewertung künstlerischer Äußerungen wird in jeder Generation neu erfolgen. Dabei kann das geschichtlich aufzufassende Werk Einfluss auf zukünftige Anliegen haben - der ursprüngliche künstlerische Ansatz wird aber in der Neuformulierung eigener neuer Welten liegen. |