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Lucien Kayser Am Anfang war die Landschaft
zum Projekt: Gemischter Satz - Weinviertel-Fries, 2002 |
Am Anfang war die Landschaft, die man durchquert, wenn man von Wien zur tschechischen Grenze aufbricht, vergleichbar einem Kontinuität stiftenden Generalbass dominiert sie das gewaltige fotografische Fries, das Heinz Cibulka dem Niederösterreichischen Wienviertel gewidmet hat. Die landwirtschaftliche Kraft, die Fruchtbarkeit der weiten Felder und der Weinanbau, der dieser Gegend ihren Namen gegeben hat, konterkarieren mit einer, von der Jahreszeit bestimmten Farbigkeit, mit Ebenen und Hügeln sowie einer verhaltenen architektonischen Akzentuierung. Der Generalbass Landschaft in der Übersichtlichkeit eines melodischen Dickichts. Aus der fotografischen Perspektive gerät dieser Lebensraum zur unbegrenzten Theaterbühne, die den verschiedenartigsten Szenarien und Auftritten offen steht. Alle Momente im Leben der dort ansässigen Menschen ziehen an diesem Schauplatz vorüber, werden von Heinz Cibulka, der sich im Zentrum wie um die eigene Achse dreht, zur Beschau vorgelegt. Und aus ihrem Leben, wobei unser Künstler eindeutig zum Schlag der Einwohner der Gegend gehört, schöpft er mit vollen Händen; ein Griff, und die Bilder reihen sich aneinander, erzählen von Freud und Leid, mal knapp, mal ausufernd, breiteste Öffentlichkeit steht neben vertraulichster Intimität. Die Sinne des Betrachters sollen von dieser bildnerischen Überfülle nicht bloß erregt, sondern auch gesättigt werden. Als verstünden sie es, Speise und Trank einzuverleiben, Heiterkeit vorüber ziehen zu lassen, einen Rauschzustand in allen Fasern von Leib und Seele zu etablieren. Fortwährend im Bewusstsein um die Vergänglichkeit von allem. Ein Memento mori, aufgeladen von der Lust zu Leben. Das ästhetische Fundament wird von einem Lebensprinzip der Üppigkeit, einer nahezu barocken Fülle gebildet. Dem Auge gönnt es keine Ruhe, das rast von einem Detail zum nächsten, wie sie aufeinander folgen, ineinander übergehen, fortwährend neue Perspektiven eröffnend. Während sie schichtenweise an einer Wirklichkeit arbeiten. Man könnte sich geneigt fühlen, die Elemente des Frieses, das Fresko insgesamt als gigantisches Puzzle anzusehen, stünde dem nicht entgegen, dass sich gar kein homogenes Bild herausschält, die Einzelteile sich nicht zu einem geschlossenen Bild zusammenfügen. Vielmehr bleibt eine heterogene Ausrichtung dominant, atmet das Ganze, um lebendig zu bleiben, durch seine Teile. Ein Vergleich mit der Zeit drängt sich auf. Wie alles scheinbar in ihr festsitzt und zugleich dahinschwindet. Die Erinnerung an das, was man in den Fenstern eines schnell fahrenden Zuges wahrnimmt, wie die Landschaften auf beiden Seiten widerspiegeln, hin- und hergerückt werden, sich übereinander legen, um allmählich, eine hinter dem Anblick der anderen, zu verschwinden. Aus alldem lässt sich schließen, welche Aufmerksamkeit Heinz Cibulka den Bewohnern des Weinviertels und den Menschen über dessen Grenzen hinaus entgegenbringt. In einem gewissen Moment des Freskos wird die Hingabe an ein wahres Zelebrieren neu geborenen Lebens deutlich. Im nächsten Moment setzt Cibulka einem Kind und seinem, von einer farbenfrohen Tierkrone überragten Haupt einen Totenschädel gegenüber. Mitten im halbgeernteten Getreidefeld. Ständig begleiten Feste, religiöse und andere Prozessionen über Felder, Zechereien in den Kellern, ein von Arbeit und Muße bestimmtes Leben. Zu Beginn dieses Textes wurde ein Vergleich mit der Musik erwogen, und die musikalischen Referenzen zu "Gemischter Satz - Weinviertel" wären wohl die vielfältiger Natur-Rhythmen, Klangfarben. Vor allem aber bestimmt ein Phänomen das exzellente Wesen dieser Arbeit: der perfekte Gleichklang von Menschen und Landschaft, und weiter der Akkord mit dem Auge, das alles festgehalten hat. Kein Wunder, dass sich etwas derartiges wie von selbst auf den Betrachter überträgt. Lucien Kayser, Luxembourg 2002 |