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Hanno Millesi

Fotografieren heißt: nicht gehorchen (1)

 

in: chinoiserie, 2000


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In seinen jüngsten Arbeiten präsentiert Heinz Cibulka einen formalen Wandel, welcher den Betrachter, der das bald dreißigjährige Oeuvre des Fotografen kennt, veranlaßt, jene Abweichungen zu überprüfen, die der Künstler eingegangen ist und sich gleichzeitig, aus einer Art Zuschauerdistanz heraus zu fragen, wie weit dieser Wechsel von jenen kühlen Augen, denen ausschließlich das Endergebnis vorbehalten ist, nachvollzogen werden kann.

Geändert haben sich scheinbar drei Instanzen, jedenfalls scheinen drei zentrale Schalter umgelegt, wobei zu differenzieren sein wird, welche dieser Modifikationen der grundsätzlichen künstlerischen Artikulation und welche dem spezifischen thematischen Anlaß vorbehalten sind.

Cibulka hat sich im Laufe der letzten drei Jahrzehnte als eine der zentralen Figuren der Fotografie in Österreich etabliert.

Gelungen ist ihm dies mit einem bildnerischen Oeuvre, dessen Thematik sich in erster Linie am Leben von Menschen in der großstädtischen Peripherie orientiert, und das in Form von zyklisch geordneten Bildgedichten auftritt. (2)

Das einzelne Bildgedicht besteht aus vier gleichformatigen Printfotos, befindet sich auf einem Fotoblatt und mag durchaus auch als einzelne Arbeit gesehen werden, vergleichbar einem Vers, der unter Umständen aus dem Zusammenhang eines Gedichtes gekoppelt werden kann, sein ideales Umfeld allerdings als Bestandteil des ursprünglichen Gesamtzusammenhanges erfährt. Im Kollektiv tasten sich die vier, miteinander in Beziehung gesetzten Sujets, sowie die seriell zusammengefaßten Blätter an ein Thema heran, stecken das Umfeld ab, manifestieren Ansatzpunkte, ohne einschränkenden Definitionszwang, ohne Aufforderung oder Verbot. Vielmehr wird eine Sphäre erzeugt, in der vieles schwirrt, darunter auch die Vorstellung des Künstlers, an der möglicherweise streift, was vom Betrachter zusammengereimt wird.

Da diese Fotoblätter weitreichend bekannt sind, sei lediglich auf zwei Aspekte hingewiesen, die sich auf die Arbeitsweise beziehen, welche diesen Imagekoppelungen zugrundeliegt. (3)

Auf ein einzelnes Bild, eine Fotografie läßt sich ein Reduktionsverfahren, das an einem Fotoblatt vorgenommen wird, nicht erweitern. Ein Print ist nicht aus der Beziehungsviefalt der vier Sujets, welcher der Betrachter überlassen wird, zu sezieren. Jedes einzelne benötigt den Akkord, der es erst aus der scheinbaren Beliebigkeit holt, und das Beziehunsgfeld, in dem es seinem Bestandteilcharakter gerecht zu werden vermag.

Alle Einzelbilder entstammen dem Archiv des Fotografen, einem Hort seiner Blickwelt, in den zunächst alle Aufnahmen, die von ihm beziehungsweise Magdalena Frey angefertigt wurden, fließen. (4) Die Entscheidung, bei der Erstellung des Ausgangsmaterials von der Versessenheit auf die Autorenschaft, der Huldigung an das begnadete Auge Abstand zu nehmen, bestätigt ein dem Werk Cibulkas immanentes Verhältnis zum Moment der Virtuosität. Weder raffinierte Kameratechnik, noch gerissene Ausarbeitungsstrategien sind für Cibulkas Arbeiten ausschlaggebend, sondern die Kombination der Bildinhalte, ein Beziehungsfeld, das zwischen den einzelnen Sujets erstellt wird. Folgt das jeweilige Auge hinter der Kamera seinem Konzept, das vor allem darin besteht, trickreiche Mechansimen zugunsten eines Schnellfeueraugenblicks, der erst im nachhinein einer akribischen Begutachtung unterzogen wird, wegzulassen, kann durchaus auch von einer anderen Hand auf den Auslöser gedrückt werden. Der Kombinationsspielraum für die anschließende Bilddichtung, in der der eigentlich schöpferische Akt gesehen werden sollte, wenngleich die entsprechenden Vokabeln erst bereitgestellt sein müssen, vergrößert sich dadurch. Bezeichnend dafür ist die Tatsache, daß die belichteten Filme an eine anonyme Entwicklungsanstalt geschickt werden, die mit diesem Bildmaterial nicht anders umgeht, als mit einem zur saisonbedingten Ausstattung gehörigen Urlaubsfilm.

Die Aufgabe des einzelnen Sujets beschränkt sich in diesem Zusammenhang eher auf dokumentarische Sichtbarmachung und ist nicht Fingerzeig auf individuelle Sichtweise.

Cibulka sieht in der Fotografie ein Festhalten von Wirklichkeitsausschnitten, ungeachtet der Differenz, die die technische Bildsprache zur Wirklichkeit aufweist. Da er sich allerdings in einem strikt eingehaltenen technischen Spielraum bewegt, kann der Ausschnitt vom Rezipienten jederzeit zurückübersetzt bzw. als bestimmter, klar auszumachender Blickpunkt identifiziert werden. Es versteht sich nicht von selbst, und Cibulkas Arbeit ist diesem Hinweis gewidmet, daß der Betrachter es mit einem von unendlich vielen Blickversionen zu tun hat. Angesichts des weitverbreiteten, hysterischen Hanges zu einer Idealversion, dem Vokabular einer Handschrift, auf der der Zenit und seine schwindelnden Höhen von ganzen fünf Fingern eingekreist sind, erweist sich Cibulka als ungehorsam. Es gehört zu seiner Strategie, diesen weitverbreiteten Ehrgeiz zu unterlaufen.

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Das Abbildungstablett, das Cibulka während der letzten Jahre als Bildzusammenklang aus vier formal gleichberechtigten Elementen konzipiert hat, präsentiert sich in seinen neuesten Arbeiten als Verdichtung auf einer einzigen Bildfläche.

Einzelnen Sujets, die Ausgangszahl ist nicht länger beschränkt, sind Elemente entnommen, die im Sinn einer Collage-Technik Bestandteile eines neuartigen Bezugssystems werden.

Damit eröffnet sich Cibulka das Feld der Inszenierung des Bildes, also die Verarbeitung vorhandenen, "appropriierten" Bildmaterials. (5) Verschiedene Elemente des Einzelbildes werden kollektiviert, in einen verbindlichen Kontext mit weiteren Bestandteilen eines Sujets gestellt.

Den jeweiligen Bildquellen ist eine übergeordnete Thematik gemeinsam, alles entstammt derselben Herangehensweise und der einzelne Ausschnitt ist lediglich durch Formatschwankungen und unterschiedliche Farbtemperaturen zu differenzieren. Den einzelnen Versatzstücken werden in Cibulkas Kompositionstechnik verschiedene Funktionen zugeteilt, die parallel zum poetischen Konglomerat eine Rolle spielen. Eine Passage eignet zum Hintergrund der neuen Bildwelt, eine andere Einzelheit wird zum vordergründigen Aussageträger, eine Farbe wird tonangebend, ein Aspekt aus seinem alltäglichen Zusammenhang gestellt und dadurch auf ihn aufmerksam gemacht. Die Stadt kann dabei so groß sein wie ein menschliches Gesicht, ein Hühnerbein so mächtig wie eine Horde Fahrradfahrer.

Nach wie vor ist das Ausgangsmaterial des Fotografen das affirmativ, aus dem spontanen Erkennen heraus geschossene Foto, nach wie vor werden die Möglichkeiten eines Eingriffs während des Ausarbeitungsprozesses außer acht gelassen. Die Technik des computergesteuerten Generierens der Sujets eröffnet aber nunmehr, neben der Verdichtung auf ein einziges Bildfeld, das Ineinander-Verflechten der verschiedenen Bildelemente bei gleichzeitiger Zuteilung der jeweiligen Kompositionsaufgabe.

Das bildnerische Ergebnis gemahnt an ein Traumbild, zumindest an die Vorstellung eines Traumbildes, das alle Einzelheiten sammelt und miteinander verknüpft, die im Gedächtnis hängengeblieben sind. Die Traumvorstellung interpretiert diese Zusammenhänge und formt ihren eigenen, dem Unterbewußtsein abgerungenen Kommentar. Für den Künstler, auf den bereits das abzubildende Sujet eine unterbewußte Anziehungskraft ausübt, übernimmt der formale Gestaltungswille diese Aufgabe. Die Rechenmaschine ist der ein zweites Mal zwischengeschaltete Apparat, nachdem die Fotokamera die organisch gesteuerte Wahrnehmung bereits in die Technik übersetzt hat. Der surrealistische Aspekt besteht zwischen den virtuellen Koordinaten, die eine unmögliche, eine originäre Ausgangssituation aus Aspekten, die der realen Welt abgeschaut wurden, erstellt. Im Gegensatz zu den vier gleichberechtigten, nebeneinander versammelten Bildfeldern, die sich über ihre Formatgrenzen hinaus zu unzählbaren Lesemöglichkeiten einer fünften Bildaussage multiplizieren lassen, wird der Betrachter der aus digitalisierten Bildvokabeln konstruierten Arbeiten tatsächlich in ein Dickicht von Einzelheiten entlassen, das trotz der scheinbaren Verdichtung, nichts an Eindeutigkeit hinzugewinnt.

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Neben dem anekdotischen Gehalt ist es bezeichnend, daß Cibulka in seiner zurückhaltenden Art immer wieder darauf verweist, daß man ihm seitens seiner Gastgeber beim Aufenthalt in der Volksrepublik, anläßlich dessen das Ausgangsmaterial der vorliegenden Arbeiten von ihm und Magdalena Frey angefertigt wurde, bestimmte Blickwinkel vorenthalten hat. Die offiziellen Begleiter hatten, so scheint es, ein bestimmtes Bild des Landes vor Augen, das sie vom eingeladenen Fotografen festgehalten haben wollten. Ohne sich den Unannehmlichkeiten oder gar der touristischen Bevormundung auszusetzen - beides liegt dem Charakter Cibulkas eher nicht -, ermöglicht das Scannen der Fotografien ein nachträgliches Sezieren der digitalen Bildvorlage. In dieser virtuellen Werkstätte konstruiert der Fotograf einen neuartigen Bildzusammenhang, der seinen ungesehenen, unbelichteten Eindrücken im Idealfall näherkommt. Nachdem der Wirklichkeitsausschnitt vom Apparat ins theoretische Vokabular des fotografischen Prozesses übersetzt wurde, werden die Bestandteile jener Abbildungsoberfläche in digitale Codes übersetzt, und die Einzelheiten derart arrangiert, daß eine der Vorstellung des Künstlers entsprechende Fassung entsteht. Diese Strategie ermöglicht es dem Künstler eine Bildwelt zu bauen, die in Form einer Implosion seiner Interpretationsversion der Wirklichkeit einen einzigen Kontur verleiht.

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Cibulka erweist sich dabei als Schüler einer von ihm selbst erschaffenen Abbildungswelt. Das zurückhaltende Markieren einzelner Aussageträger, Grenzposten eines poetischen Interpretationszwischenraumes, eines Zimmers, in dem der Betrachter ohne Aufsicht sich selbst überlassen wird, in dem vier Koordinaten, die sich fallweise miteinander multiplizieren ließen, ein ebensowenig überprüfbares wie nachweisbares Aussagefeld ergaben, ein Dazwischen ist einem einzigen Spielfeld gewichen, einer Regelung, die einzelne Elemente aus der Bilderflut sieht. Die Schwingung, die von der Kooperation oder Widerspenstigkeit der vier Sujets erregt wurde, ist zur Schrille eines Horror vacui angestiegen, in dem sich die wesentlichsten Bildvokabeln zur Anreicherung einer Undurchschaubarkeit treffen.


  1. Robert Doisneau zitiert nach Paul Virilio, Gespräch zwischen Paul Virilio und Hans Ulrich Obrist (Paris, 8. Juni 1991). In: Jahresring 38. Der öffentliche Blick, München: Verlag Silke Schreiber 1991, S. 364, 347.
  2. vgl.: Weinviertel (1975), Floridsdorf (1988)
  3. vgl.: Hanno Millesi, Zur Fotografie im Wiener Aktionismus, Foto Fluss, Wolkersdorf, 1998, S. 25f.
  4. Diese Form der Recherche-Arbeit, das Fotografieren und Sammeln von Sujets, geschieht bisweilen gemeinsam mit Magdalena Frey, die, ihrerseits, vergleichbares Ausgangsmaterial zu ihren eigenen Werken verarbeitet.
  5. vgl.: Andreas Müller-Pohle, Die fotografische Dimension, in: Kunstforum International, Bd. 129, Januar-April 1995, S. 74ff.

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