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Hanno Millesi

Rückblick

 

in: Heinz Cibulka – Frühe Aktionsrelikte, 2005



Über Heinz Cibulkas Arbeiten ist viel geschrieben worden. In erster Linie über sein fotografisches Werk, das im Laufe der siebziger Jahre charakteristisch für ihn geworden ist, und in dem er - etwa mit seinen Bildgedichten - nicht nur einen eigenständigen Beitrag zur Geschichte der künstlerischen Fotografie geleistet hat, sondern mit dem Einsatz von "anti-virtuosen" Fotos zu einem der Pioniere dieser heute etablierten Form des gestalterischen Umgangs mit Fotografie avancierte. Im Zuge von Heinz Cibulkas künstlerischem Aufstieg ist auch sein Frühwerk, das im Zeichen der zu jener Zeit virulenten Bestrebung, die beiden Phänomene Leben und Kunst einander anzunähern stand, hinlänglich besprochen worden. Anlässlich eines retrospektiven Blicks auf diese Arbeiten scheint es sinnvoll, sie einmal mehr aus dem Schatten des reiferen Werks hervorzuholen und die für ihre Entstehung verantwortliche künstlerische Absicht mit jener Entwicklung zu vergleichen, die Heinz Cibulkas kreativer Ansatz in der Folge nimmt.

Die Gestaltung mit einer für die Fotografie symptomatischen Perspektive auf die Wirklichkeit steht seit etwa Mitte der siebziger Jahre im Zentrum des künstlerischen Oeuvres von Heinz Cibulka. Ehe sich dieser Ansatz herausbildet, gilt Heinz Cibulkas Interesse bereits einer künstlerischen Argumentationsform, innerhalb der es um ein Wirklichkeitsbild und, damit verbunden, um die Annäherung der beiden Phänomene Kunst und Wirklichkeit oder, anders gesagt, ästhetik und tägliches Leben geht. Beeinflusst vom aktionistischen Umfeld und dessen allgegenwärtiger Ambition zum Gesamtkunstwerk, das diverse künstlerische Medien und Argumentationsformen einbezieht, entstehen Werke, an deren Ursprung sich zumeist ein inszeniertes Geschehen befindet beziehungsweise Arbeiten, die Voraussetzungen für ein solches schaffen. Ein derartiger Prozess kann mitunter durchaus simpel sein - eine weiße Leinwand wird unter einen Holunderstrauch gelegt - oder einem komplexen Konzept folgen (Performance). In einzelnen Fällen (Materialkästen) scheint eine Objektassemblage auf eine mögliche Tätigkeit hinzuweisen. Die der Arbeit eingeschriebene formale ästhetik basiert dann auf der Zusammenstellung der dafür notwendigen Materialien.

Der erwähnte Gesamtkunstwerkscharakter eröffnet aber auch ein synästhetisches Spektrum, demzufolge mehrere Sinne beim Rezipienten angesprochen werden. Zusätzlich zu ihrer optischen Erscheinung riechen viele dieser Arbeiten, sie laden dazu ein, betastet zu werden, gegebenenfalls lassen sie sich sogar verspeisen. Soziale Tätigkeiten (z. B. gemeinsames Essen und Trinken) werden in das Kunstwerk miteinbezogen. Und diese sinnlichen Kategorien sind keine zufälligen oder logischerweise im Rahmen der Entstehung begründeten Aspekte - wie beispielsweise ein ölbild riecht oder eine Marmorbüste berührt werden will -, sondern sie wenden sich ganz gezielt an eine in dieser Hinsicht erweiterte Erfahrbarkeit.

ähnlich wie bei Heinz Cibulkas in der Folge entstehenden fotografischen Arbeiten, beziehen diese Objekte und Installationen etwas mit ein, was in der endgültigen Fassung nicht mehr vorhanden ist. Bildet die Fotografie gemeinhin - bei Heinz Cibulka meist gleichzeitig mehrere - Ereignisse ab, so ist in seinen frühen Objektarbeiten und Environments ein Prozess mitverarbeitet, der längst stattgefunden hat. Das kann ein bestimmter vom Künstler im Rahmen einer Performance vorgesehener Ablauf sein - Hantieren mit ausgesuchten Materialien auf einem für diesen Prozess vorbereiteten Tisch, an dessen Oberfläche in der Folge die Spuren einer Handlung sichtbar sind - oder eine ganz alltägliche Tätigkeit, die aus atmosphärischen Gründen Eingang in die Assoziationsaura einer Arbeit findet (Weinlese, Weinpressen). Solche Tätigkeiten können auch als Abbild vertreten sein.

Die Motivwahl von Heinz Cibulkas ersten künstlerischen Manifestationen konzentriert sich auf agrar-kulturelle Themen sowie auf Vokabular aus dem Zusammenhang bäuerlichen Lebens und ländlicher Strukturen. Den biographischen Hintergrund dafür lieferte der in den späten sechziger Jahren vollzogene Umzug aus der Stadt ins vorstädtische Gebiet.

Wie bereits angesprochen, gehören auch Fotografien zu den künstlerischen Werkzeugen dieser frühen Arbeiten. Einmal rufen sie ein Geschehnis ins Gedächtnis, das zum Entstehen einer Objektinstallation geführt hat, oder holen symptomatische Tätigkeiten in den Zusammenhang des Kunstwerks (Bauern bei der Arbeit). In bestimmter Hinsicht weisen diese fotografischen Arbeiten in die kreative Zukunft des Künstlers, wird er sich während der folgenden Jahrzehnte doch nahezu ausschließlich mit diesem Medium befassen. Darüber hinaus formiert sich auf diesen Fotos aber auch Heinz Cibulkas fotografische Sprache, indem er alltägliche, unspektakuläre Geschehnisse festhält und auf eine ihnen innewohnende Poesie verweist.


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