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Alexandra Schantl

Anmerkungen zu den Bildpoesien Heinz Cibulkas

 

in: Bildgenerationen 2, 2003



„Für mich ist das Arbeiten mit Photographien eine Möglichkeit, dichterisch tätig zu sein. Ich setze mich im Grunde nicht mit den Gesetzen und dem Gefüge der Photographie und ihren Erzeugungsmaschinen auseinander. Ebensowenig beschäftige ich mich mit der Wertschätzung der Photographie als künstlerischem Medium.“

Heinz Cibulka

Es war zunächst das Medium Film, das Heinz Cibulkas Interesse an apparativer Kunst weckte. Seine Lehrmeister hinsichtlich der «Kultur des Bilderlesens« waren - nach der Ausbildung an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien - das Österreichische Filmmuseum und der Filmkünstler Peter Kubelka. Darüber hinaus bestärkte ihn die Freundschaft mit Rudolf Schwarzkogler und Hermann Nitsch, für deren Arbeiten er sich jahrelang als Modell und „passiver Akteur“ zur Verfügung stellte, bei der Suche nach einer eigenständigen künstlerischen Ausdrucksform:

Im Gegensatz zu den heroischen, dramatisch vorgetragenen, zum „Besonderen“ hochstilisierten Inhalten meines Künstler-Vorbildes Nitsch, drängte es mich, die Kraft des „Nichtbesonderen“, das poetische Potenzial des „Normalen“ und des „Zufälligen“ ins Spiel zu bringen“. 1

Cibulka fand, wonach er suchte, in seiner unmittelbaren Umgebung: der ländlichen Kultur des niederösterreichischen Weinviertels, wo er sich - aus Wien kommend - vor etwa 35 Jahren niederließ. Da das Landleben Mitte der sechziger Jahre eher nach «Blut und Boden« denn nach frischer Luft roch, lag es «abseits künstlerischer Perspektiven und Aussagezwänge« (Cibulka) und zugleich abseits des damaligen Kunstinteresses, welches urbane, körperbezogene Inhalte bevorzugte.

In seiner ersten Einzelausstellung, die 1972 im Grazer Forum Stadtpark stattfand, zeigte Cibulka den S/W-Photozyklus Stammersdorf Das Konzept dieser Arbeit beinhaltete auch, den Ausstellungsraum in einen „Heurigen“ zu verwandeln, mit Tischen, Bänken, Ausschank und dem typischen Speisenangebot. Jeder Besucher der Galerie, der an diesem Akt der bewussten Auseinandersetzung mit Essen und Trinken partizipierte, war zugleich Teil der künstlerischen Intervention. In dieser ersten, für sein Gesamtwerk bedeutenden Arbeit manifestiert sich eine der grundlegenden Forderungen der Moderne, nämlich jene nach Aufhebung der strikten Trennung zwischen Kunst und Leben beziehungsweise Künstler und Rezipient, die für Cibulkas Oeuvre bis heute tonangebend ist und auch im Kontext zeitgenössischer Kunst nicht an Aktualität verloren hat. Man denke etwa an die von Max Hollein im Herbst letzten Jahres in der Frankfurter Schirn Kunsthalle inszenierten Schau „Shopping“, bei der unter anderem ein Supermarkt mit dem gesamten Warenangebot 1:1 nachgebaut wurde.

1974 griff Cibulka das Thema Stammersdorf neuerlich auf und besann sich dabei auf lange zurückliegende Experimente mit Bildmontagen, die Form des „Vierer-Blockes“, die sich zu einem wesentlichen Charakteristikum seiner photographischen Arbeit entwickeln sollte: Vier Farbphotos in industrieller Standardausarbeitung vom Format 13 x 18 cm, auf einem Karton so angeordnet, dass sich zwischen ihnen ein schmales Kreuz ergibt, sind der formale Ausgangspunkt seiner «Bildgedichte». Parallel dazu lernte Cibulka die Qualitäten billiger mechanischer Kameras - unter anderem made in USSR - zu schätzen, die er nebenbei ebenso sammelte wie Bildmotive. Zu jedem Objekt seines Interesses legte er ein umfangreiches Bildarchiv an, um bei der Komposition der «Bildgedichte» aus dem vollen schöpfen zu können. Unschärfe, extreme Nahsicht und vom Zufall bedingte Fragmentierungen der Motive waren ihm - lange bevor die Lomographen eine Mode daraus machten - als Gestaltungsmittel ebenso willkommen wie die Einbeziehung von Fremdmaterial (etwa Reproduktionen aus Büchern oder auch Photos von anderen Künstlerinnen sehr oft von Magdalena Frey). Auf Basis dieser formalen Prinzipien schuf Cibulka ab Mitte der siebziger Jahre zahlreiche Serien von «Bildgedichten» - Gemischter Satz, Most fühlt, Aus Nachbars Garten etc. - ehe er sich ab Mitte der neunziger Jahre auf digitale Bildcollagen konzentrierte. Inhaltlich ging und geht es ihm dabei bis heute um eine persönliche Spurensicherung, eine künstlerische Interpretation des Lebens an sich. Die Sujets findet er in seinem jeweiligen Umfeld, dem Weinviertel, Wien oder auf seinen zahlreichen Reisen nach Italien, Tschechien, Polen, Mexiko, China oder Korea. In welcher Kultur er sich auch immer gerade bewegt, seine Bilder erzählen stets vom ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens, von Eros und Thanatos, alltäglichen oder religiösen Ritualen und volkskundlichen Phänomenen.

Heinz Cibulka verfügt über einen geschärften Blick für das scheinbar Unbedeutende und Normale. Aber da sich seine photographischen Poesien erst durch die kreative Partizipation, die nachschöpferische Leistung des Betrachters erschließen, ist es wichtig, daß die Einzelbilder, aus denen sich die «Bildgedichte» - aber auch die digitalen Collagen - zusammensetzen, möglichst bekannt und «über die Sprache hinaus allgemeines Kulturgut sind» (Cibulka). Was er anstrebt, ist die Poetik des «offenen» Kunstwerks, das eine freie und schöpferische Antwort fordert, «weil es nicht wirklich verstanden werden kann, wenn der Interpretierende es nicht in einem Akt der Kongenialität mit dem Urheber neu erfindet». 2 Der Betrachter wird «zum aktiven Zentrum eines Netzwerkes von unausschöpfbaren Beziehungen [...], unter denen er seine Form herstellt, ohne von einer Notwendigkeit bestimmt zu sein [...],» 3

Die Auswahl aus seinen Bildarchiven nimmt Cibulka also so vor, daß sich die Grundaussage - trotz der individuell verschiedenen Assoziationsketten - auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner bringen läßt.

In den zahlreichen begleitenden Publikationen stellt er seinen Bild(ver)dichtungen oft auch eigene sprachliche Assoziationen gegenüber. Generell bezieht er - aufgrund der performativen und synästhetischen Ausrichtung seiner künstlerischen Auffassung - immer wieder andere Medien in seine Arbeit ein. Seien es nun Toneinspielungen wie bei den nach einer genau festgelegten Dramaturgie ablaufenden Materialaktionen der siebziger Jahre oder - wie in seinem aktuellen Schaffen - Computer, Digitalkamera und Internet: «[Die] synästhetische Wirkung im Bild verlangt variantenreiche Ansprache, weniger einen bestimmten, nachvollziehbaren Stil in einer Disziplin, als vielmehr einen unkomplizierten Zugang und damit einen raschen Einstieg für den Rezipienten in eine nachschöpferische Lust am bildnerischen Spiel». 4

Die in den letzten Jahren am Computer entstandenen Collagen, Serien wie mex, jesusche, chinoiserie oder korea, haben - aufgrund der unzählig übereinander gelagerten Schichten - den Charakter von Vexierbildern. Das Material dazu liefern analog oder digital aufgenommene Photographien, die mit Hilfe eines Bildbearbeitungsprogramms «gesampelt» und in neue Zusammenhänge überführt werden. Hier trifft zu, was Susan Sontag als photographisches „Recycling“ bezeichnet: Es „macht aus einmaligen Objekten Klischees, aus Klischees spezifische, lebendige Kunstprodukte“, und „zwischen Bildern von realen Dingen schieben sich Schichten aus Bildern von Bildern“. 5

In dieser Technik schuf Cibulka auch zwei monumentale Friese: In Geschichtes Gedicht unternahm er in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistoriker und Literaten Hanno Millesi den Versuch, auf vier Tafelbildern die herausragendsten Persönlichkeiten der österreichischen Kultur- und Geistes der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts darzustellen. Mit dem zweiten Fries, Gemischter Satz - Weinviertel «verewigte» er eine Landschaft und ihre Bewohner; wobei Heinz Cibulka, wissend, daß sich nichts fixieren läßt, sich selbst als Zeitzeuge definiert, der phänomenologisch schaut und interpretiert. Die von ihm betriebene Spurensicherung ist immer subjektiv motiviert. Sie passiert intuitiv und hat weder mit Agrarromantik noch mit einem zwanghaften Wunsch, alles dokumentieren zu müssen, zu tun. Worum es ihm geht, hat Hermann Nitsch anläßlich einer Ausstellungseröffnung 1977 so formuliert:

«Es wird Bestand aufgenommen, wie weit sich unsere technisiert zivilisierte Welt mit vielen tausend Jahre alten Verrichtungen vermischt. Viel Schönes und noch einfach und intensiv Erlebbares wird festgehalten. Vielleicht wird die Entwicklung des ökonomisch Praktischen die Asthetik aller lebendigen Verrichtungen zudecken und zum Verschwinden bringen, vielleicht wird eine neue Asthetik entstehen, ich weiß es nicht«. 6

Aus heutiger Sicht, da von einer zunehmenden »Verstädterung» des Landes und einem Verschwinden der Landwirtschaft die Rede ist, haben diese Worte fast prophetischen Charakter. Darüber hinaus konnte wohl kaum jemand ahnen, daß rund zwanzig Jahre später die bewußte Suche nach kultureller Identität als Folge der Globalisierung ein Thema sein würde, das nicht nur die Soziologie, sondern auch die Kunst beschäftigt.

Insofern bewahrheitet sich durch Cibulkas Spurensicherung, daß die Photographie „Scheinformen des Besitzes» vermittelt: „ Während alte Photos unser geistiges Bild der Vergangenheit vervollständigen, verwandeln die Photographien, die heute gemacht werden, das, was gegenwärtig ist - wie die Vergangenheit - in ein geistiges Bild. Die Kamera baut ein abgeleitetes Verhältnis zur Gegenwart auf (die Realität wird durch ihre Spuren erfahren), sie liefert ein unmittelbar rückwirkendes Bild der Erfahrung«. 7


1 |   Heinz Cibulka, in: «Heinz Cibulka. Bild-Material», medium 19, Katalog des NÖ Landesmuseums, Wien 1993, S. 20.

2 |   Umberto Eco, «Das offene Kunstwerk», 8. Aufl., Frank­furtam Main 1998, S. 31.

3 |   Ebenda.

4 |   Heinz Cibulka, in.« mex 01-12. digitale bildcollagen», Ausstellungskatalog, Galerie Curtze, Wien 1999, o.S.

5 |   Vgl. Susan Sontag, Uber Photographie, 11. Aufl., Frank­furt am Main 1999, 5. 167.

6 |   Hermann Nitsch. In: Heinz Cibulka. Photographische Arbeiten 1969-83, Katalog, Wien 1983, S. 23.

7 |   Siehe Anm. 5, S. 159.


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