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Marie Röbl

DAS BILDGEDICHT ALS FOTOKÜNSTLERISCHE STRATEGIE

  1. Prägung und Paratext (Einleitung)
  2. Aktion und Reaktion (Fotografie)
  3. Konzept und Kompost (Montage)
  4. Reise, Kulturen, Stadt und Land (Entgrenzung)i

 

in: Heinz Cibulka . Im Takt von Hell und Dunkel; 2012



Cibulkas Entwicklung vom (aktionistischen) Akteur zum (fotokünstlerischen) Autor15 lässt sich anhand der Antipoden Passivität und Aktivität nachzeichnen – allerdings nicht im Sinne einer Ablösung der einen durch die andere Haltung. Denn eine Aufhebung dieses Gegensatzes war bereits in Cibulkas Rolle als »passiver Akteur« angelegt. In der Konzeption des Bildgedichtes, konkret in der sich hier manifestierenden Auffassung von Autorschaft und schöpferischem Akt, finden diese Antipoden eine neue Form der Verschränkung. Schließlich taucht dieses Motiv auch in Cibulkas späteren kunst- bzw. lebensphilosophischen Reflexionen auf.16 Eine Verbindung zwischen Akteur und Autor lässt sich außerdem über den Begriff der Aufzeichnung herstellen:

Als Akteur in einem vorgegebenen dramatisch-rituellen Geschehen war Cibulka so etwas wie ein primäres Medium des Aktionisten Nitsch (übrigens keineswegs Material, wie viele Frauen, die Otto Muehl für seine Aktionen einsetzte). In dieser Rolle nahm er das, was um und an ihm geschah, zwar »passiv« hin, war aber zugleich aktiv, insofern er dieses Geschehen nicht nur über sich ergehen ließ, sondern in seiner physischen, kognitiven und psychischen Präsenz reagierend darstellte – also aufzeigte oder aufzeichnete, um es für die außenstehenden Rezipienten wahrnehmbar zu machen. Als Fotograf ist er der sensible Wirklichkeitsrezeptor, dessen Aufnahmen ebenso aufzeichnendes Dokument, bildliche Spur einer Über- bzw. Umsetzung, wie in der fertigen Konstellation als Bildgedicht Auslöser eines je individuellen, kreativen Wahrnehmungs- bzw. Assoziationsprozesses sind.

In Cibulkas Konzeption des Bildgedichtes werden aktive und passive Aspekte der Kunstproduktion wie der -rezeption zwischen Künstler und Betrachter auf eine spezifische Weise umverteilt:17 So kommt eine »Auslöserfunktion« nicht nur in der Auseinandersetzung der Betrachter mit dem fertigen Bildgedicht zum Tragen, sondern spielt auch im künstlerischen Produktionsprozess Cibulkas eine entscheidende Rolle. Dies wird etwa deutlich, wenn Cibulka beschreibt, wie der eigentlichen Fertigung der Bildgedichte eine Phase des Abstandes vorangehen soll, der es ihm ermöglicht, seine Aufnahmen gewissermaßen mit neuen Augen zu betrachten, sich ihnen möglichst »unbefangen« auszusetzen, um seine Bildkombinationen in unmittelbarer Reaktion auf das Gegebene entwickeln zu können.18 Den Rezeptionsprozess durch die Betrachter beschreibt er als einen seiner Arbeit ähnlichen – so wie er sich beim Fotografieren und beim Auswählen der Bestandteile der Viererkonstellationen dem Material aussetzt und sich von ihm »erregen« lässt, so soll der Betrachter durch seine Bildgevierte zu einem individuellen, kreativen Akt der Bildrezeption angeregt werden.19

Den Produktionsprozess seiner Bildquartette erläutert Heinz Cibulka in mehreren Texten, die zunächst der Reflexion und Erklärung seiner Arbeit, später aber auch didaktischen Zwecken im Rahmen seiner Lehrtätigkeit dienten.20 Signifikant ist dabei sein Vorgehen in (jedenfalls zwei, wenn man detaillierter aufgliedert auch in vier) distinkten Schritten:

  1. Erfassung eines Themas bzw. Anregungsfeldes (z.B. Auseinandersetzung mit einer spezifischen Kulturlandschaft und existenziellen Aspekten ihrer Lebensbedingungen);
  2. Aufzeichnung wesentlicher Bildausschnitte daraus (fotografische Aufnahme) sowie industrielle Ausarbeitung der Prints nach standardisierten Parametern;
  3. Erfassung des so gewonnenen Bilderpools in neuerlicher Betrachtung und Ordnung;
  4. Zusammenstellung von Vierer-Konstellationen im Rechteck.

Betrachtet man diese Arbeitsweise vor dem Hintergrund von Cibulkas Erläuterungen, so zeigt sie sich als eine vielschichtige Strategie, in der sich entsprechende Affinitäten mit differenzierten Gegenbewegungen in Bezug auf die im vorhergehenden Kapitel benannten Prägungen verbinden: So manifestiert sich zunächst in der zentralen Bedeutung von sinnlich empfundener und gedanklich aufgenommener Wirklichkeit bzw. von umfassend sensiblem Erleben als primärem Wirkungsfeld der Kunst (wie des »Seins«) Cibulkas Berührung mit den Zielen des Aktionismus. Mit der Konzeption des Bildgedichtes als Kunstwerk entfernt sich Cibulkas Kunstbegriff aber in wesentlichen Aspekten von der im Orgien-Mysterien-Theater manifesten Aktionskunst. An die Stelle unmittelbaren Geschehens (im Aktionismus) tritt Wirklichkeit in bild/sprachlicher Fassung, zuerst in Form eines angesammelten Bildkonvolutes, schließlich in Zyklen von Bildgefügen, deren Organisation von weitgehender semantischer Offenheit im Rahmen einer strengen formalen Struktur geprägt ist.

Als Endprodukte eines künstlerischen Prozesses betrachtet, gehen die Bildgedichte auf einen (modifizierten) Werkbegriff zurück, wie er von den Aktionisten desavouiert wurde. Cibulkas fotokünstlerische Arbeit setzt genau dort ein, wo ein Dilemma der Aktionskunst virulent wird, im Spannungsfeld zwischen unmittelbarem Erleben und Repräsentation bzw. Dokumentation der Realität.21 Diese Fragen sind seiner Findung und Entwicklung der Bildgedichte immanent (auch wenn Cibulkas fotokünstlerische Arbeit nicht als explizit medien- oder repräsentationskritisch aufzufassen ist).

Es ist das fotografische Medium mit seinen wahrnehmungspolitischen Dimensionen und semiotischen Implikationen, das im Zentrum dieses Dilemmas steht. Für Cibulka ermöglicht dieses, ein Bildwerk als Relais zu realisieren, das die oben angesprochene »paritätische Verteilung« von Partizipation und Konfrontation zwischen Betrachter und Produzenten gewährleistet (und mithin die traditionell umfassenden Ansprüche an ein aktives Schöpfersubjekt aufweicht bzw. den Rezipierenden von seiner Passivität emanzipiert).

Das einzelne Foto wird von Cibulka als Speicher in einem direkten Sinn verstanden.22 In der Literatur über seine fotografische Ästhetik wurde von einem bewusst naiven Blick gesprochen, der sich am ehesten mit einer amateurhaften Aufnahmepraxis vergleichen ließe. Sein Verzicht auf Einflussnahme bei der Ausarbeitung des Positivs (etwa durch Ausschnittsvarianten, Farbsteuerung, Printqualität …) wurde wiederholt herausgestellt.23

Im Bezugsrahmen der Entstehungszeit der ersten Bildgedicht-Zyklen erscheinen Cibulkas Bilder also nicht als autorenfotografisch individualisierte Bildkompositionen.24 Es liegt nahe, diese ästhetischen Eigenheiten als den Versuch zu interpretieren, sich als fotografisch gestaltender Autor möglichst zurückzunehmen. Die in Cibulkas Aufnahmen dargestellte Wirklichkeit zeigt aber auch in ihrer scheinbar unmittelbaren »Gegebenheit« die (im Blick über das Gesamtwerk deutlicher werdende) Präsenz eines Autors – mithin das Gegebene als Wirklichkeitsspur, die die Bedingungen des Aufzeichnens mitvermittelt. Auch wenn die Aussagen Cibulkas nahelegen, dass dabei kein »Kunstgriff« zur Anwendung kommt, so manifestiert sich hier dennoch deutlich der Niederschlag einer spezifischen auktorialen Haltung.

Greifbar wird der fotografische Autor Cibulka nicht nur durch den Einbezug von Familienmitgliedern oder Freunden (die zu identifizieren nicht jedem möglich ist), sondern generell bei der Aufnahme von Personen, die sehr häufig auf den Fotografen und ihr Fotografiertwerden reagieren. Damit transportiert das Bild auch eine Vorstellung von der Situation während der Aufnahme und der (kommunikativen) Haltung des Fotografen. Beschreiben ließe sich diese anteilnehmende Haltung auch als das Gegenteil eines voyeuristischen, etwa durch ein Teleobjektiv aufgerüsteten Blicks, der den aufgenommenen Situationen oder Personen unbeobachtet ein Bild abjagt (selbst das Liebespaar am Strand im Zyklus Napoli von 1986 ist kein heimlich beobachtetes, sondern ein öffentliches Geschehen am Strand).

Bildästhetische Effekte wie abstrahierende Verfremdung oder gestaltende Gewichtung (etwa durch Ausschnittwahl oder Schärfeverteilung), szenisch spektakuläre Zuspitzung oder auch ein distanzierter Dokumentarismus werden vermieden. Deutlich wird dieser Blick auch bei der Aufnahme von Gegenständen, etwa Erd- oder Meeresfrüchten, die bereits im Realkontext dargeboten, auf Tischen ausgebreitet oder zur Weiterverarbeitung zurechtgelegt sind; Tätigkeiten und Szenarien werden ebenso als überschaubare, eingängig fassliche Entitäten aufgenommen. Meist erschließt sich das Motiv als Motivation zum Auslösen der Kamera im Bild unmittelbar. Es steht häufig im Zentrum des Aufnahmeformates, aber es gibt durchaus auch Fragmentiertes, wie Baumkronen, angeschnittene Denkmäler oder Statuen, sowie Bilder mit Bewegungsunschärfen und Überbelichtungen, in denen die bloße Abbildungsleistung des Mediums verblasst. Was dabei umso deutlicher hervortritt, sind Verweise auf die Bedingtheit der Aufnahme, sowohl apparative, als vor allem durch den Blick des Fotografen gegebene. Wie Gerhard Roth pointiert formulierte, tritt in Cibulkas Fotografie der Blick an die Stelle des Bildes.25

Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang auch von Cibulka aufgenommene Buchseiten, Illustrationen, Screen-Shots, Plakate oder Gemälde, die immer wieder in den Bildgedichten auftauchen. Dies hat nichts mit einem Zurücktreten des Bildautors zugunsten von Reproduktion oder Medienreflexion zu tun, denn auch die vorgefundenen, re-präsentierten Bilder bleiben immer in ihrer objekthaften Materialität – als Wahrgenommenes – wahrnehmbar. Cibulka versteht sie als Zitat und verwendet in diesem Sinne fallweise auch Aufnahmen anderer Fotografen in seinen Arbeiten26.

Gerade im Überblick über mehrere Jahrzehnte von Cibulkas Bildproduktion lassen sich stilistische Unterschiede nachvollziehen, die teilweise mit den Themenfeldern bestimmter Zyklen sowie vermutlich auch mit Rückwirkungen seiner Bildkombinatorik auf seine Einzelbildästhetik zusammenhängen. So zeigt sich im Zyklus Antwerpen (1991/92) ein Interesse an Farb-Korrespondenzen und Lichtreflexen, das in früheren Arbeiten nicht zu finden ist. Diese Veränderungen in seiner fotografischen Auffassung versteht Cibulka allerdings nicht im Sinne einer Weiterentwicklung, sondern als eine bewusst angestrebte Variabilität seiner Fotosprache(n).27 Dies lässt sich in Analogie zur individuell gesprochenen Sprache denken, die kontextabhängig veränderlich ist, etwa in Form von Anpassung und Übertragung von Färbungen und Vokabular, bis hin zur Anwendung von Fremdsprachen.

Von Beginn an hebt sich Cibulkas spezifische Bildsprache in ihrer vermeintlichen Kunstlosigkeit, etwa in ihrer industriell vorgegebenen Farbigkeit und Ausarbeitungstechnik, von der Fotoproduktion in seinem Umfeld ab: Im Allgemeinen überwiegen in der österreichischen Fotografie bis in die frühen Achtzigerjahre noch Schwarzweißaufnahmen, die sich entweder an der Ästhetik bestimmter Genres (wie Bildjournalismus und Reportage) oder fotografischer Stilrichtungen (wie der subjektiver Fotografie oder amerikanischem Dokumentarismus) orientieren bzw. diese für sich entwickeln. Vielfach in Schwarzweiß wird auch im Kontext von konzeptueller, feministischer oder medienkritischer Kunst fotografiert. Wenn Farbfotografie zum Einsatz kommt, so findet der Faktor Farbe einen vergleichsweise prononcierten Ausdruck. (Um den gesetzten Rahmen nicht zu sprengen, werden hier nähere Vergleiche von Cibulkas Arbeit mit anderen Positionen nicht weiter verfolgt.)

3) Konzept und Kompost (Montage) >


15 |    Der Zusammenhang zwischen Cibulkas Rolle(n) im Aktionismus und seiner späteren fotokünstlerischen Arbeit wird in der Literatur mehrfach behandelt, ausführlich etwa bei: Kurt Kaindl, Aktion und Fotografie. Über das Verhältnis von Aktionsfotografie und bildsprachlicher Arbeit bei Heinz Cibulka, in: Heinz Cibulka, aktion & Fotografie, hrsg. v. Galerie Krinzinger, Wien 1989, unpag. [S. 14–22], sowie Hanno Millesi, Zwischen Realitätsverlust und Wirklichkeitsdefinition – Standardbegriffe, in: Heinz Cibulka / Lucien Kayser, Bildgenerationen, hrsg. v. Niederösterr. Landesmuseum, St. Pölten, Wien 2003, S. 23–27 (Millesi betitelt hier den Abschnitt, in dem er Cibulkas Rollenwechsel beschreibt, mit »Reaktionismus«).

16 |    »Mein Vorhandensein in und auf dieser Welt drückt sich durch Aktivität und Passivität zugleich aus, durch aktives Einwirken auf äußere Gegebenheiten und durch aggressive Hereinnahme äußerer Qualitäten in meinen Ich-Bereich. Essen, Trinken – Zerstören, Töten –, Zeugen, Gebären … diese lebensbedingten Grundaktivitäten nehme ich als ein durchgehendes Verhaltensmuster in meinem Leben an. Passives Habhaftwerden kann ich weniger deutlich durch Eigenschaften festmachen […]. Das ›aktive oder/und passive Sein‹ kann wirken durch Geben und Nehmen, Erkennen und Beurteilen […], auch durch Bezeichnen, Erklären, Beschreiben, Nachdenken und Nachfühlen, sowie durch versuchtes Nachvollziehen berührender Ereignisse oder durch Vorausdenken und Vorausfühlen […]. Der komplexe Wahrnehmungsprozess, das Übersetzen in ein Mittel zur Verständigung, das Deuten und Interpretieren sind artspezifische und aber auch ganz persönliche Schritte der Aneignung von Welt. […] Eine Form von Deutung augenscheinlicher Tatsachen, geheimnisvoller Empfindungen und Eindrücke ist, was man allgemein unter künstlerischer Aneignung versteht. […] In einem gewissen Sinn ist dann jede Äußerung auch zugleich mehr oder weniger eine künstlerische, da ja der vorangehende Übersetzungs-, Deutungs- und Projektionsvorgang schöpferische Qualität verlangt und produziert.« – Heinz Cibulka, Aneignung von Welten. Ariadne, Emilie, Perseval, Camillo, Theresa und Julia zuliebe, in: Ders., Linz. Fotografische Bildgedichte, Ladendorf 1993, unpag. [S. 3–9, hier S. 3].

17 |    Dieses Argument zielt nur mittelbar auf jenen von Roland Barthes, Michel Foucault, Umberto Eco u.a. angeregten Paradigmenwechsel, der das Verhältnis von Autor und Rezipient bzw. semantischer Fundierung und Deutungsarbeit grundlegend neu dachte. Vielmehr soll im Folgenden gezeigt werden, wie Cibulka die (nach diesem Paradigmenwechsel »relativierte«, ehemals als primär aktiv, autonom schaffend definierte) Rolle der Autorschaft für sich adaptiert, indem er die (ebenfalls erweiterte, ehemals als passiv gedachte) Betrachterrolle im Produktionsprozess auch für sich in Anspruch nimmt. Dazu s. auch: Kurt Kaindl, Entstehungsbedingungen der Fotoblätter Heinz Cibulkas, in: Heinz Cibulka, Weinviertler Bildersetzkasten, Mistelbach 1990, unpag. [S. 12–15].

18 |    »Vorerst lasse ich meine Fotos liegen, bzw. sichte sie oberflächlich, sortiere sie aber noch nicht. Durch Aussparung des Arbeitsprozesses der Entwicklung und Vergrößerung [Cibulka lässt in anonymen Industrielabors mit automatischer Farbaussteuerung ausarbeiten und verwendet zunächst ausschließlich Positive im Format 13x18 cm] stehe ich den sog. Einzelfotos unbelastet gegenüber. Das Foto als Bestandteil meines Archives ist in gewisser Hinsicht neu für mich […]. Diesen Haufen Bilder lasse ich in meiner Erinnerung ›gären‹, ich sichte ihn immer wieder und versuche, mir möglichst viele Qualitäten daraus zu merken. Der Prozess des Kennenlernens ist als eine Art Einverleibung zu verstehen. […] Meine Empfindsamkeit soll in möglichst vielen Schichten strapaziert werden. Die Fotos als Reizmittel setze ich auf meine Reizbarkeit an.« – Heinz Cibulka, Fotografie – am Beispiel meiner Arbeiten, in: Camera Austria, Nr. 6, 1981, S. 3–9, hier S. 4 u. 9 [Wiederabdruck in: Heinz Cibulka, Land-Alphabete. Fotografische Arbeiten 1969–1983, Wien 1983, S. 80–92].

19 |    Die aktive Lesearbeit, die die Bildgedichte beim Betrachter anregen, wird anhand semiotischer Theorien von Umberto Eco dargelegt von: Dieter Schrage, Dichte Assoziationsfelder. Zu den Bildbotschaften von Heinz Cibulka, in: Heinz Cibulka, Land-Alphabete, 1983, a.a.O., S. 27–31.

20 |    Heinz Cibulka, Vom Brechreiz bis zur Glückswallung. Meine Arbeit mit Fotografien, in: Ders., Stoffwechsel, hrsg. von Otto Breicha, Graz 1977, unpag. [S. 7f]; Ders., Fotografie – am Beispiel meiner Arbeiten, 1981, a.a.O., S. 3–9; Ders., Most – fühlt / Cider – feels, in: Camera Austria, Nr. 8, Graz 1982, S. 73–79 [Wiederabdruck in: Heinz Cibulka, Land-Alphabete, 1983, a.a.O., S. 92–96]; Ders., Mit Fotografien dichterisch kombinieren und gestalten, in: Nationalpark Hohe Tauern. Klasse Cibulka – Eine Fotodokumentation, hrsg. v. Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg, Fotohof Salzburg 1988, S. 16–18; Heinz Cibulka, Es gibt keine Regeln, wie das Bild zu lesen ist, Abschrift eines Interviews von Adam Mazur für die Zeitschrift Fototapeta im November 2002; abgerufen im August 2011, http://fototapeta.art.pl/2004/hcbd.php

21 |    Neben den unter Anm. 15 angeführten Texten siehe dazu: Michael Ponstingl, Heinz Cibulkas Präsentationen montierten Sprachmaterials – Zwischen »Kiahdrichln«, »Hollunderblütenversprechungen« und »Eiterpink«, in: Heinz Cibulka, Saft aus Sprache. Abschriften, Notenbild-Verbarien, Freie Reihungen, Texturen 1970–1990, St. Pölten 2010, S. 224–238, hier bes. S. 232. Ponstingl zitiert in seiner Darstellung dieses Dilemmas – der von Hermann Nitsch (jedenfalls in seinen früheren Werkphasen) angestrebten »Registrierung eines realen Ereignisses ohne ästhetische Verfremdung«, die daran scheitert, dass es »keine restlose Identität zw. Repräsentiertem und Repräsentation« geben kann – Schriften von Peter Gorsen und Oliver Jahraus.

22 |    »Ich nehme das jeweilige Foto als eine Wirklichkeit an, wie diese in mir räsoniert, auf mich wirkt. Da ich mich als einen sich dauernd verändernden Faktor annehme, variiert auch mein Verhältnis zu dem Foto. Ein von mir verwendetes Foto ist keine Reproduktion von etwas, von einer Sache; es handelt sich immer um eine sog. Neuformung bzw. Erstformung.« – Heinz Cibulka, Fotografie – am Beispiel meiner Arbeiten, 1981, a.a.O., S. 9. »Ich setze mich im Grunde nicht mit den Gesetzen und dem Gefüge der Fotografie und ihren Erzeugungsmaschinen auseinander. Ebenso beschäftige ich mich nicht direkt mit der Wertschätzung der Fotografie als künstlerisches Medium.« – Heinz Cibulka, Most – fühlt, 1981, a.a.O., S. 73. »Eine Art phänomenologisch orientierte, möglichst meinungsfreie Sicht auf Dinge und Situationen bildet den Grundstock jener Bilder, mit welchen ich später poetisch gestalten werde. […] Es ist eine Art möglichst direkten Zugangs auf reale Situationen, oder auf Aspekte des Visuellen – ich versuche von Beginn an ohne formale Regeln vorzugehen. Ich sehe da eine Art ›Montage von Wirklichkeiten‹, einen ganz einfachen Versuch einer Übertragung von Wirklichkeit – Realität soll als Assoziations-Chiffre gespeichert werden.« – Heinz Cibulka, Es gibt keine Regeln, 2002, a.a.O.

23 |    »Die einzelnen Fotos Heinz Cibulkas besitzen (im Gegensatz zur sonst üblichen kunstfotografischen Praxis) keine dominante Komposition oder spezifische Handschrift. Sie scheinen tatsächlich den Zeigegestus des ›Das da‹ zu wiederholen. Rainer Fuchs schreibt in Beobachtung von Cibulkas Arbeitsweise: ›Ein Kind sieht ein Schaf auf der Wiese und sagt: Guck, ein Schaf. Genau so macht Cibulka Fotos.‹ [Rainer Fuchs, Cibulkas Auge, in: Heinz Cibulka, Kat. Stedelijik Van Abbemuseum, Eindhoven 1983]. Die ungestaltet-einfachen Einzelbilder lassen den Fotografen vergessen.« – Kurt Kaindl, Aktion und Fotografie, 1989, a.a.O., unpag. [hier S. 18]. »Der Spurensicherer Cibulka, dem es nicht um wissenschaftliche, sondern um künstlerische Bestandsaufnahme geht, [zitiert] in seinen kunstlosen Schnappschüssen Wirklichkeit […]. So direkt, wie die Objekte der Wirklichkeit auf Regalen oder in Vitrinen vor uns stehen, so direkt ist Cibulkas Fotografie. Er übt sie bewusst kunstlos aus. Seine überwiegend in Nahsicht gemachten Schnappschüsse zeigen etwas, weisen auf etwas hin, erfassen einen Vorgang, heben etwas heraus.« – Peter Weiermair, Heinz Cibulka. Bildgedichte als Suche nach dem ursprünglichen Leben, in: Heinz Cibulka, Bild Material, Kat. hrsg. von Peter Zawrel, Kulturabt. des Landes Niederösterreich, Wien 1993, S. 8. »[Cibulkas Fotoarbeiten bedienen sich] einer kunstlos wirkenden Oberflächenstruktur, deren künstlerisches Geheimnis alleine in der Kraft des Materials begründet ist.« – Peter Zawrel, Die Kraft des Materials: Bilder, in: Heinz Cibulka, Bild Material, 1993, a.a.O., hier S. 15. »Cibulka sieht in der Fotografie ein Festhalten von Wirklichkeitsausschnitten, ungeachtet der Differenz, die die technische Bildsprache zur Wirklichkeit aufweist … [Er arbeitet] im Rahmen seines eigenen Werkes als angewandter Fotograf, der sich einer betont unkomplizierten, auf alles Raffinement verzichtenden Technik bedient.« – Hanno Millesi, Zur Fotografie im Wiener Aktionismus, hrsg. v. FLUSS, Wolkersdorf 1998, S. 26. Dazu s. auch die instruktive Analyse einer bewusst im Kunstkontext eingesetzten, amateurhaften Aufnahmepraxis bei Georg F. Schwarzbauer, Die Bedeutung der Fotografie in der bildenden Kunst der Gegenwart, in: Manfred Willmann / Christine Frisinghelli, Symposion über Fotografie, steirischer herbst, Graz 1979, S. 83–97, hier S. 92.

24 |    Im ersten Jahrzehnt seiner fotokünstlerischen Arbeit, die schon nach kurzer Zeit in den wichtigsten Ausstellungen und Publikationen zur zeitgenössischen Fotografie rezipiert und gewürdigt wurde, bezeichnete der Begriff der Autorenfotografie – auch für Cibulka selbst – so etwas wie eine gegenpolige Tendenz zu seiner Position, das, wovon er sich absetzte bzw. unterschied. Sie lässt sich grob umreißen als eine Richtung ambitionierter künstlerischer Fotografie mit assoziativer, wirklichkeitsverfremdender Bildsprache und betont subjektivem Stilwollen in der Tradition von Otto Steinert und wurde in Wien an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, in Graz von Erich Kees vermittelt. Problematisch wird diese Polarisierung, wenn Cibulkas Arbeit damit im Umkehrschluss einem dokumentarischen »objektivistischen« Ansatz zugeordnet wird. Dass dies aber nicht einmal auf den ersten Produktionsschritt seiner Bildgedichte – die fotografische Aufnahme – zutrifft, wird im Folgenden aufzuzeigen versucht.

25 |    »Anstelle des Bildes tritt der Blick. […] Sein idealer Fotoapparat wäre eine mechanische Kontaktlinse, die durch den Gedanken ›ausgelöst‹ wird. Cibulka ändert nichts. […] Er belichtet, beleuchtet, beschattet, stativiert nicht, zoomt nicht, verzerrt nicht – er registriert und nähert sich. […] Er führt uns nicht mehr oder weniger vor, als wie wir schauen. Jede Fotografie enthält den Hinweis, wie wir sehen, übersehen, registrieren, beiseiteschieben.« – Gerhard Roth, Heinz Cibulka – Der Blick, in: Ders., Über Bilder. Österreichische Malerei nach 1945, Wien 1990, S. 123 [Wiederabdruck in: Heinz Cibulka, Obraz#, Warschau 2007, S. 51–54.]

26 |    »Es kommen unterschiedliche Fotografien in meinen Bilder-Speicher. […] Alle zusammen sind mir willkommen und bieten mir jenes Bildmaterial, welches ich zum Komponieren brauche. Bei den ersten Bildgedichten hatte ich praktisch nie mit Bildern anderer Autorinnen oder Autoren gearbeitet. Ungefähr seit 1980 setzte ich fallweise in Bildgedichten solche Bilder in Zitatform ein. Meine Frau, Magdalena Frey […] spendete immer wieder Bilder zu meinen Bildgedichten und Bilderzyklen, wie auch später für meine digitalen Collagen.« – Heinz Cibulka, Es gibt keine Regeln, 2002, a.a.O.

27 |    »Für mich gilt die generelle Regel: ich strebe überhaupt keine ›guten‹ Einzelbilder an, die einem bestimmten klassischen Vorbild entsprechen. Meine ›naturgegebene künstlerische Handschrift‹ beim Fotografieren ist für mich zugleich auch eine Art Korsett, aus welchem ich mich immer wieder zu befreien versuche. Ich strebe möglichst viele unterschiedliche Bilder an. Am liebsten wäre mir, wenn ich zehn Köpfe zum Fotografieren hätte – nicht nur meinen. Ich will mich und meine beschränkten Möglichkeiten überspringen. Im Prinzip bin ich aber beim Fotografieren Diener meiner späteren Collagen und dabei muss ich möglichst vielfältiges Material einbringen, unterschiedliches Material, welches mir viele Möglichkeiten poetischer Kombinationen eröffnet.« – Heinz Cibulka, Es gibt keine Regeln, 2002, a.a.O.


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