Heinz Cibulka   fotografische arbeiten / photographic works interdizipinäre arbeiten / interdisciplinary work digitale bildcollagen / digital collages publikationen / publications texte / texts biografie / biography

... texte | texts

|| menu ||

|| english >


Marie Röbl

DAS BILDGEDICHT ALS FOTOKÜNSTLERISCHE STRATEGIE

  1. Prägung und Paratext (Einleitung)
  2. Aktion und Reaktion (Fotografie)
  3. Konzept und Kompost (Montage)
  4. Reise, Kulturen, Stadt und Land (Entgrenzung)

 

in: Heinz Cibulka . Im Takt von Hell und Dunkel; 2012



Die Überschaubarkeit der Aufnahmen und die eingängige Wiedererkennbarkeit des Dargestellten sind eine Voraussetzung für ihre Kombinierbarkeit als »Bildbausteine«.28 Durch die Zusammenstellung der Einzelbilder in Vierer-Konstellationen entsteht ein »fünftes Bild«. Dieses erfordert einen anderen Blick als die Betrachtung der Einzelbilder und funktioniert auf andere Weise.29 Zum einen widersetzen sich die Bildgedichte einer auf finale Bedeutungsfindung zielenden Rezeption: Die Konstellation der gleichformatigen Bilder im geschlossenen Rechteck-Block ermöglicht wechselseitige Korrespondenzen zwischen den vier Bildern in alle Richtungen, sie gibt dem Betrachter also strukturell keinen Anhaltspunkt für seine Lese- und Verknüpfungsarbeit wie bei einer sequenziellen Reihung (etwa in einem Fotobuch), in einer hierarchisierenden Anordnung oder in einer traditionellen kompositorischen Bildorganisation.

Zum anderen erschließt sich über inhaltlich-thematische Zusammenhänge oder formale Bezüge zwischen einzelnen Bausteinen eines Bildgevierts nur selten ein klar benennbares Bedeutungsfeld: wiewohl beides in jedem Bildgedicht angelegt ist, lassen sich nur selten alle vier Bestandteile dadurch »zusammenlesen«. So nutzt Cibulka zwar vielfach die bestimmenden grafischen und farblichen Elemente der Bilder, um damit Korrespondenzen und Anschlüsse zwischen benachbarten Bausteinen herzustellen. Auch gibt es metaphorische und metonymische Analogien oder Stränge. Doch wird dadurch die Suche nach Zusammenhängen und Bedeutung angeregt, ohne sich in einem endgültigen Ergebnis zu erfüllen.30 In dieser potenziellen Unabschließbarkeit sind die Bildgedichte im wörtlichen Sinne als radikal anzusehen – eine Radikalität, die in der »Oberfläche« der vier Bausteine gleichsam gedeckt ist und nur in aktiver (»schöpferischer«) Betrachtung ins Bewusstsein tritt.

Die Einzelbilder fungieren im montierten Verband als wirksame Zutaten einer Komposition, die Gefühle, Empathie, Assoziationen und Erinnerungen an frühere Sinneswahrnehmungen evozieren sollen. Darin zeigen sich Verwandtschaften zu Gedichten, Gerichten sowie anderen Kunst- und Werkformen, auch innerhalb von Cibulkas eigenem vielgestaltigen Œuvre. Es ist die Arbeit auf der konzeptionellen Basis synästhetischer Transgressionen, »im Dienste eines für die Avantgarden des 20. Jahrhunderts symptomatischen Anspruchs der Erlebenssteigerung«, die das Bildgedicht als paradigmatisch für sein vom »Traum vom Gesamtkunstwerk« geprägtes Werk ausweist.31

Wie bereits erwähnt, entwickelte Cibulka seine Montagesprache, indem er Anregungen aus dem Umfeld der Wiener Gruppe sowie der filmischen Avantgarde für sich fruchtbar machte. Michael Ponstingl zeigte anhand der literarischen Werkgruppe der Notenbild-Verbarien, wie Cibulka aus dem Schubertlied Der Müller und der Bach einen Herstellungs- bzw. Notenschlüssel gewinnt, indem er dessen Melodie, also die Abfolge der Noten, Wiederholungen und Pausen, in ein kodiertes Ordnungsschema übersetzt.32 Dabei wird jeder vorkommenden Note ein bestimmtes Bedeutungsfeld (wie etwa »Weinen«) zugeordnet. Dann werden für jedes Bedeutungsfeld verschiedene semantische Einheiten (Gedichtzeilen wie »Rotz aufziehen, schluchzen, Gesicht verziehen«) entwickelt. Diese ergeben schließlich in der Reihung von Schuberts Noten einen poetischen Text, etwa Zeilen zu einem Notenbild (1974). Neben diesen »algorithmisch montierten« Gedichten gibt es andere Textgruppen, wie Freie Reihungen und Texturen, die dagegen »instinktiv montiert« werden.

Ein Vergleich mit dem Montageverfahren, das Cibulka in der Herstellung der Bildgedichte anwendet, zeigt: Es gibt zwar auch hier die Setzung eines themenunabhängigen Bauplans – die Anordnung von vier querformatigen, in der Ausarbeitung industriell determinierten Farbabzügen –, die er für viele Bildgedichtzyklen beibehält. Gleichwohl gibt es den Schritt einer Klassifikation des angesammelten Bilderpools nach bestimmten Kriterien, die allerdings aus dem Bildmaterial selbst gewonnen werden. Als entscheidende Vorbereitung beschreibt Cibulka die Vergegenwärtigung bestimmter, erinnerbarer Bildenergien von jeweiligen Aufnahmen.33 Mitunter erstellt er – in einem üblicherweise nicht veröffentlichten Zwischenschritt – Themenlisten, nach denen er die Bilder für einen Zyklus sortiert.34 Seine konkrete Montagearbeit am jeweiligen Bildgedicht bleibt aber letztlich weitaus schwerer greifbar als im Fall der literarischen Notenbild-Verbarien, denn sie ist weder im Voraus determiniert noch im Nachhinein rekonstruierbar.

Streng nach dem Konzept der »methodischen Invention« hat die Methode, mit der die in einem Pool gesammelten (Realitäts-)Fragmente in ihre Konstellation gebracht werden, sowohl vom zugrundeliegenden Material als auch von subjektiven Entscheidungen des Künstlers unabhängig zu sein.35 Beides ist bei Cibulkas bildnerischer Konstellationsarbeit nicht der Fall. Denn seine Intention ist nicht eine Ausblendung des Künstlersubjekts, sondern vielmehr eine Kunstproduktion, die u.a. genau die Krux der Subjektkonstitution, das Dilemma zwischen bewusster Entscheidung/Handlung und Ausgeliefertsein/Hingabe, vor Augen führt. Zentral für seine Kunstpraxis ist daher auch das existenzielle Thema der Reaktion. Dieses wird in Cibulkas Bildgedichten gleichsam in zwei verschiedenen Sprachen angesprochen: anteilnehmender, intuitiver Zugriff in »fotografischer Dialektsprache« sowie reflexive Verarbeitung des erfassten Materials im Montageverfahren.

Auch wenn Cibulkas Lebensumstände (seine bewusst gewählte Wohngegend, seine Hochzeit, seine Kinder, sein Hund, seine Reisen) wichtige Impulse für sein künstlerisches Schaffen darstellen und in den Bildgedichten implizit thematisiert werden, so spielt das Biografische bzw. eine dezidiert subjektive Sichtweise keine Rolle: Er gibt in seinen Bildgedichten weder Details seines persönlichen Lebens preis, noch tritt er selbst (ostentativ) als dargestellte Person auf.36 Auch in Zyklen wie Hochzeit oder Gebären, die offensichtlich auf persönliche Erlebnisse zurückgehen, wird das Thema als existenzielle Erfahrung gefasst und nicht als diaristische Erzählung eines individuellen Lebenslaufes. In späteren Arbeiten erfolgt in dieser Hinsicht eine merkliche, aber keine substanzielle Veränderung.37

Als Künstlersubjekt agiert (und reagiert) Cibulka primär im Produktionsprozess – und tritt als solches über die Bilder, Bildkonstellationen wie -zyklen nur vermittelt in Erscheinung. Hier fungiert er gleichsam als Stellvertreter für das Subjekt schlechthin, den Menschen in seiner existenziellen Bedingtheit, wobei Cibulka allerdings keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt. In den Einzelaufnahmen bzw. dem sich darin manifestierenden Blick zeigt sich dies auf die oben beschriebene Weise. In den Bildgedichten manifestiert sich das Künstlersubjekt genau an jenem Punkt, an dem Cibulka im Zuge des Montageprozesses, beim Sortieren, Klassifizieren und der konkreten Entscheidung für eine Vierer-Kombination, von der konzeptuellen Strenge (etwa eines methodischen Inventionismus) abgeht und damit jene analytisch nicht aufzulösende, semantische Offenheit generiert.

Wenn er diesen Arbeitsschritt in Metaphern von körperlichen bzw. organischen Prozessen (Einverleibung, Entzündung, Erregung …) beschreibt, so wird deutlich, dass es vor allem der »Künstlerkörper«, jedenfalls auch die körperliche Sensibilität des gleichsam am Aktionismus gereiften Künstlers ist, der hier jenen Filter generiert, der die endgültige Materialorganisation bestimmt. (»Künstlerkörper« meint keine Reduktion des Autors auf somatisches Reagieren, sondern zielt auf einen ganzheitlichen Subjektbegriff, der eben auch körperliche Aspekte umfasst.) Insofern Cibulka auch auf der Betrachterseite mit derselben Sensibilität rechnet bzw. diese mittels der Bildgedichte erregen möchte, könnte man seine Konstellationen – im allgemeineren Sinne Kompositionen – auch als Kompostierungen ansprechen: möglichst »schadstofffreies« Material (hier: frei sowohl von eng gefassten stilistischen, bildpolitischen als auch subjektivistischen Aspekten), Abfälle ­– nicht im pejorativen Sinne, sondern als Abdrucke, Spuren, metonymische Zeichen – relevanter Realität, die wie von einem Gärtner aufbereitet und zusammengestellt werden, um so im Betrachter produktive Gärungs- und Transformationsprozesse in Gang zu setzen.

Im Rahmen einer Untersuchung von Cibulkas Montagearbeit ist ein weiterer bereits erwähnter Bezug konkreter auszuführen: der von Peter Kubelka vermittelte Impuls durch die filmische Avantgarde. Denkt man zunächst an Kubelkas bekannteste Filme, Adebar (1957) oder Schwechater (1958), so kann über die darin angewandten metrischen Montageverfahren und ihre – eminent – filmische Artikulation nur schwer eine Verbindung zu Cibulkas Bildgedichten herstellt werden. Anhand von Kubelkas frühem, gemeinsam mit Ferry Radax, geschaffenen Film Mosaik im Vertrauen (1954) lassen sich am ehesten jene Merkmale zusammenfassen, die Cibulka in der Konzeption seiner Bildgedichte anregt haben mögen: die anti-lineare zeitliche Struktur, der anti-psychologische Charakter des Plots, die mittels Metaphern und Metonymien verdichtete und verschobene, anti-logische Erzählstrategie, die Abstraktionstendenzen, die Verwendung von Found-Footage-Material und die Betonung der Einzelteile, die wie in einem Mosaik zusammengesetzt erscheinen (und die im Film auch in Inkongruenzen von Bild und Ton als solche deutlich werden).38

Einzelne, auch in anderen Avantgardefilmen auftauchende Merkmale finden sich ebenso im Kosmos von Cibulkas Bildgedichten. So die Hereinnahme einer rohen Bildqualität, wie Unschärfe und unperfekte Ausarbeitung – bzw. mittlerweile: ausgebleichte Farbigkeit –, die semantische Leerstellen, ein weißes Rauschen, erzeugen; schließlich ikonografische Details, die innerhalb von Cibulkas Themenkreisen vielleicht nicht unbedingt naheliegen oder jedenfalls in meiner Wahrnehmung (die ich mir im Sinne von Cibulkas angebotenen »Assoziationswolken« erlaube) auffällig erscheinen: Schnitte und Schüsse – frische Wunden, Zerteilung von Schlachtgut bzw. Fleisch, Männer beim Zielen mit Waffen, Fußballer beim Torschuss.

An dieser Stelle bleibt einzuwenden, dass die Montage im Film grundsätzlich eine andere Rolle spielt als in einem statischen Bildwerk. Denn Filmvorführung und -rezeption sind an die Bedingungen des sukzessiven, innerhalb einer bestimmten Dauer ablaufenden Flusses des Bewegungsbildes gebunden. Als Schnitttechnik hat die Montage im Medium Film eine konstitutive Rolle, da Filmrhythmus, Einstellungsdauer usw. durch sie gestaltet werden. Die Angriffe der Avantgardefilmer auf die verschiedenen Sogwirkungen des klassischen Erzählkinos entwickeln sich innerhalb dieses medienspezifischen Rahmens, auch wenn dieser einer (medien-)kritischen Analyse unterzogen wird.39 Im Allgemeinen ist daher eine vergleichende Betrachtung von filmischer und bildnerischer Montage nur bis zu einem gewissen Grad sinnvoll, auch wenn sie hier durchaus nachvollziehbare Verwandtschaften zutage bringt.

Peter Kubelkas Position ist als Anregung für Cibulkas Konzeption der Bildgedichtmontage insofern sehr fruchtbar, als Kubelka in seinen Produktionsprozessen sowie theoretischen Überlegungen in besonderem Maße vom Einzelbild ausgeht. So spielt etwa der Analyse- und Klassifikationsprozess der Bildmotive zur Vorbereitung seiner Schnittfolgen eine ähnliche Rolle wie später bei Cibulkas Bildgedicht-Produktion. Kubelka orientiert sich an Montagetheorien von Sergej Eisenstein und an der Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins. Zentral ist dabei der Gedanke, den Ursprung von Bedeutungsbildung in der Konfrontation von kontrastierenden Einheiten zu sehen: Sinn liegt nicht in einem semantischen (sprachlichen oder filmischen) Gefüge, sondern entsteht in der Rezeption einer Konstellation zwischen ihren Bausteinen.40 Vermutlich gab Kubelka damit auch den Anstoß für jenen schmalen, kreuzförmigen Spalt, an dem zwischen den vier Einzelbildern eines jeden Bildgedichtes das Weiß des Untersatzkartons erscheint.

Zum Vergleich mit Cibulkas Montagearbeit scheinen auch die Fotomontagen von Gerhard Rühm naheliegend.41 Rühm stellt jeweils mehrere Einzelbilder zusammen, die er in nicht-linear lesbaren Konstellationen, meist kontrastierend, metaphorisierend oder metonymisierend auf Blättern organisiert. Sein Bildmaterial rekurriert häufig auch auf akustische und taktile Wahrnehmung. Neben Affinitäten zu Cibulkas Bildgedichten gibt es aber markante Unterschiede: Rühm verwendet Ausschnitte aus Zeitschriften sowie Büchern und gestaltet jede Konstellation individuell. Dabei kommen verschiedene, durch die Clips vorgegebene Formate zum Einsatz. Die Bilder schneidet Rühm mitunter quer durch oder setzt auch dieselben Bilder in mehreren Kopien ein. Motivisch konzentriert er sich dabei auf Pin-ups sowie vielfach spektakuläre, teils drastische Aufnahmen, wie etwa embryonale Missbildungen, Unfälle und pornografische Phantasien. Damit werden Dispositive und Blickregimes einer mehrfach mediatisierten Realität thematisiert, die Rühm ad absurdum führt.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von österreichischen Fotografen, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren mit tableauförmigen Bildzusammenstellungen arbeiten, etwa Cora Pongracz, Peter Dressler, Friedl Bondy-Kubelka oder Paul Albert-Leitner. Aber bei allen punktuellen Berührungen, die sich mit Cibulkas Bildgedichten finden lassen, fällt seine Position auch in diesem Kontext vor allem in ihrer Eigenständigkeit auf. Wie erläutert, resultiert ihre strukturelle Besonderheit vor allem daher, dass er seine Bildgedichtform in Anregung durch Aktionismus und Avantgardefilm entwickelt – und nicht aus dem engeren Feld der künstlerischen Fotografie. Besondere Beachtung verdient außerdem ihre inhaltliche Dimension, Cibulkas spezifisches Interesse an Wirklichkeit und sein Zugriff auf sie.

Reise, Kulturen, Stadt und Land (Entgrenzung) >


28 |    »Vergleichbare Erfahrungen im Umgang mit Bildern ermöglichen den Beschauer/innen das Lesen meiner Bilder, wie auch eine nachschöpferische Imagination. Deshalb ist es oft nützlich, wenn in Bildmontagen eingesetzte Bilder auch weit gehend klar strukturiert und leicht zu erfassen sind. Die Bilder müssen visuell gelesen werden, und möglichst nicht verbal interpretiert werden.« – Heinz Cibulka, Es gibt keine Regeln, wie das Bild zu lesen ist, Interview von Adam Mazur für Fototapeta im November 2002; online abgerufen im August 2011, http://fototapeta.art.pl/2004/hcbd.php
»[Cibulkas Aufnahmen] sind offen, sie strecken wie die Moleküle auf den chemischen Schemazeichnungen die Arme ihrer freien Valenzen nach ergänzenden visuellen Eindrücken aus. […] Das von ihm aufgenommene Rohmaterial der einzelnen Belichtungen trägt schon auf den Kontaktbögen die Unabgeschlossenheit in sich, die die visuelle Rekonstruktion des Erlebens erst ermöglicht.« – Kurt Kaindl, Fotografische Lesarten. Zu den ›Hochgebirgsquartetten‹ von Heinz Cibulka, in: Ders. / Heinz Cibulka / Harald Waitzbauer, Inner Gebirg. Wege in die Tauern, Edition Galerie Fotohof, Salzburg 1986, unpag. [S. 31–35, hier S. 34].

29 |    »Bei jenem fünften Bild, das gleichzeitig das vom Betrachter des Bildgedichtes hinzu- oder herausgesehene ist, das auf ein Zusammenwirken der vier eingesetzten zurückgeht, aber eben auch ein aus dieser Zusammengehörigkeit neu geschaffenes ist, handelt es sich um ein in der Auffassungsgabe des Rezipienten entstandenes Bild. Nicht nur ist es für jeden eigens und anders, sondern auch unvergleichlich. Die Charakteristika der Fotografie, ihr spezifisches Verhältnis zur Wirklichkeit, ihre eigenwillige Perspektive und Beliebigkeit im Ausschnitt, gelten für jene fünfte Bilderfahrung nicht mehr.« – Hanno Millesi, Zwischen Realitätsverlust und Wirklichkeitsdefinition – Standardbegriffe, in: Heinz Cibulka / Lucien Kayser, Bildgenerationen, hrsg. v. Niederösterr. Landesmuseum, St. Pölten, Wien 2003, S. 23–27, hier S. 25.

30 |    »Je länger ich ein Foto im schwerelosen Zustand, im Unklaren halten kann, und ein zweites Foto dazu und noch mehr, desto voller scheinen mir diese Fotos als verdichtete Zeichen zu strahlen. […] Bei Zusammenstellungen mehrerer Fotos zu einer Bildgestaltung interessieren mich in erster Linie unmethodische, nichtsystematische ›freie Gestaltungen‹. […] Verschiedene Ordnungsraster verschiedener Gehirne lösen sich die Bildbotschaften nach ihren jeweiligen Möglichkeiten auf. […] Dichte Wolken von Assoziationsfeldern will ich erreichen«. – Heinz Cibulka, Fotografie – am Beispiel meiner Arbeiten, in: Camera Austria, Nr. 6, 1981, S. 4 u. S. 9.
»Es handelt sich um Bildgedichte, nicht um Bildergeschichten. Es sind lyrische Erfahrungen, rational nicht auflösbare Bilder, deren Herkunft in der Welt leicht zu orten ist, die jedoch nicht in einen unmittelbaren chronologischen oder räumlichen Ablauf gebracht wurden. Das Impressionistische des Verfahrens führt dazu, dass ›nicht der Inhalt wichtig ist, vielmehr das kompositorische Reizklima, welches animiert, damit nachschöpferisch zu agieren‹ (Heinz Cibulka).« – Peter Weiermair, Heinz Cibulka. Bildgedichte als Suche nach dem ursprünglichen Leben, in: Heinz Cibulka, Bild Material, hrsg. von Peter Zawrel, Kulturabt. des Landes Niederösterreich, Wien 1993, S. 8.

31 |    Edith Almhofer, Das Andere im Blick, in: Heinz Cibulka, Aus Nachbars Garten. Mit dem Tagebuch einer Fußreise von Heinz Cibulka und seiner Familie im Jahr 1994 nach Prag, Gumpoldskirchen 1998, unpag. [S. 3].

32 |    Michael Ponstingl, Heinz Cibulkas Präsentationen montierten Sprachmaterials – Zwischen »Kiahdrichln«, »Hollunderblütenversprechungen« und »Eiterpink«, in: Heinz Cibulka, Saft aus Sprache. Abschriften, Notenbild-Verbarien, Freie Reihungen, Texturen 1970–1990, St. Pölten 2010, S. 237: Kapitel ›Ein exakt angebbares Montage-Verfahren oder der Geist der Wiener Gruppe‹; S. 84–159: Notenbild-Verbarien sowie [mehrteils erstmals] publizierte Schlüssel.

33 |    »Im Bildarchiv meines Erinnerungsvermögens werden die Verhältnisse verschiedener Qualitäten zueinander geprüft: Ordnungen, Beweglichkeit, Anziehungskraft, Außerordentlichkeit, Ausstrahlung … […] So weiß ich nach einiger Zeit, dass ich verschiedene Bildqualitäten auf Lager habe: z.B. erinnere ich mich, dass etwas Rotes, Weiches, Sprühendes, Neugeborenes, in den Farben Laszives, Brennendes, Verfallenes, Dunkles, Spitziges, Vaginalförmiges, Wolkenförmiges […] in meinem Archiv sein muss. […] Die Bildenergien und meine Gestaltungsrage reiben aneinander. Entzündet durch die Fülle setze ich aufeinander Bezug nehmende Elemente zu einem Ganzen zusammen. Zu einem Bild erkläre ich den Zusammenzug unterschiedlicher Energien, mit dem Ziel ein dynamisches Spannungsfeld zu erzeugen.« – Heinz Cibulka, Fotografie – am Beispiel meiner Arbeiten, a.a.O., Graz 1981, S. 9. »Zuerst suche ich mir nach einem Plan oder nach Gefühl sog. Favoriten aus dem Bilderpool. Das sind die ersten Fotos, die auch oft in den Bildern den Ton angeben. [… aber] nach gefundenen zweiten oder dritten Fotos kann durchaus das erste wieder weichen müssen. Da es keine Regel eines logischen Bildaufbaus gibt, da die jeweiligen Bildkomplexe Eigenleben entwickeln, gibt es kein fixes Ziel, welches bestimmte Bildinhalte oder sonstige Kriterien voraussetzt.« – Heinz Cibulka, Es gibt keine Regeln, wie das Bild zu lesen ist, a.a.O., Nov. 2002.

34 |    Heinz Cibulka, Saft aus Sprache, 2010, a.a.O., S. 179 u. am Schutzumschlag: Die hier erstmals publizierte Themenliste (»Arbeitspartitur«) zum Zyklus Linz wie Licht (1990) zeigt eine Tabelle. In sieben Zeilen werden die thematischen Kategorien Gebären, Vielfalt, Stoffwechsel, Verletzung, Tod, Transzendenz und Vermehrung aufgelistet. Diesen werden jeweils verschiedene Bilder zugeordnet und mittels kursorischer Betitelung verzeichnet. Auch wenn teilweise eine Identifikation der angeführten Aufnahmen möglich ist, lassen sich deren konkrete Konstellationen in den Bildgedichten nicht anhand dieser tabellarischen Klassifikation nachvollziehen.

36 |    »Meine Arbeit spart meine Person als Figur und Meinungsträger weitgehend aus. Direkt in den Bildern ist nur schwer etwas davon zu sehen. Trotzdem trägt auch meine Arbeit Spuren meiner Biografie in sich. Vor allem aber versuche ich meine philosophische Haltung indirekt auszudrücken.« – Heinz Cibulka, Es gibt keine Regeln, 2002 a.a.O. Dies ist auch vor dem Hintergrund anderer österreichischer Fotokünstler erwähnenswert, die ebenso mit in Gruppen oder als Tableaus organisierten Fotografien arbeiten und darin auch selbst als Akteure/Modelle auftreten, wie etwa Peter Dressler, Friedl Kubelka-Bondy oder Paul Albert Leitner, wobei das Genre des Selbstporträts und seine Implikationen durchaus eine Rolle spielen.

37 |    Diese Veränderung wurde beschrieben von Edith Almhofer, Das Andere im Blick, in: Heinz Cibulka, Aus Nachbars Garten. Mit dem Tagebuch einer Fußreise von Heinz Cibulka und seiner Familie im Jahr 1994 nach Prag, Gumpoldskirchen 1998 [unpag.]: »Die Person des Autors bleibt nicht länger anonym, ja die Fährnisse der Reise und das Schicksal der Wandernden selbst sickern als Thema und Motiv in die Arbeit ein.« Allerdings ist Cibulkas Position auch in dieser Abwandlung noch immer vergleichsweise weit von den typischen Vertretern jener subjektivistischen Fotografie entfernt, wie sie in den 1980er-Jahren v.a. im angloamerikanischen Raum aufkam, z.B. mit Nan Goldin, Annelies Štrba, Richard Billingham.

38 |    Peter Tscherkassky, Die rekonstruierte Kinematografie. Zur Filmavantgarde in Österreich, in: Alexander Horwath / Lisl Ponger / G. Schlemmer (Hg.), Avantgardefilm. Österreich 1950 bis heute, Wien 1995.

39 |    Wenn die Montage in ihrer filmgestaltenden Funktion eine kritische Unterwanderung erfährt (etwa in Filmen von Michael Snow durch weitgehende Vermeidung oder von Kurt Kren durch exzessive Steigerung), dann ist diese Strategie ebenso wenig in ein statisches Bildwerk übertragbar wie die oben beschriebenen.

40 |    Peter Kubelka, Die Theorie des metrischen Films (1974/75), in: Gabriele Jutz / Peter Tscherkassky (Hg.), Peter Kubelka, Wien 1995, S. 46–68; sowie Stefano Masi, Die gemeißelte Zeit, in derselben Publikation, S. 73–123 (zur »lexikalischen« Klassifikationsarbeit für Unsere Afrikareise); Peter Kubelka, Auf der Leinwand bewegt sich niemals irgendetwas, in: Camera Austria, Nr. 31/32, 1990, S. 37 (mit Installationsansichten der Ausstellung Die metrischen Filme als Bilder im Fotohof Salzburg).

41 |    Monika Faber, Die Wirklichkeit hat Sprünge. Collage, Montage, Konstellation oder Serie: Zu einigen Beispielen des Verbindens von Photographien, in: Fisch und Fleisch. Photographie aus Österreich 1945–1995, Kat. Kunsthalle Krems, Wien 1995, S. 36–53; sowie Dies., Kunst und Fotografie, in: Wieland Schmied (Hg.), Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, Bd. 6: 20. Jahrhundert, München 2002, S. 359–382, bes. S. 370.


| top |