Donnerstag, 1. 7. 1999
Wollte wieder um 6 Uhr fotografieren gehen, aber es regnet immer noch. Nach dem Frühstück fahren wir zu einem Frühmarkt für Lebensmittel in einem Vorort Shanghais. Hier sehe ich Fleisch von allen möglichen Tieren, sowie Lebendtiere wie Wachtel, Tauben und Hühner, Fische, Hummer, Krabben, Muschel, Frösche, Schlangen, Schildkröten. Die Marktarbeiter haben ihre Hände an und in all den Dingen wie in den Fleischteilen, an den Knochen der Tiere und in diversen Innereien. Neben den fleischlichen Angeboten sehe ich viele Variationen von Tofu, Eier in allen möglichen Farben, Morcheln, Teigwaren, Reis, Gewürze und sehr viele verschiedene Gemüsesorten. Eine Freude für meine Augen, und zugleich die Vorfreude und Hoffnung, davon brauchbare Bilder zu erhalten.
Mein Besuch in der Markthalle zum Fotografieren ist angemeldet, eine Gruppe von Organisatoren und Verantwortlichen geht vor mir und hinter mir her. Hier kann ich mich beim Fotografieren austoben. Mehr als 7 Filme innerhalb einer Stunde bei besten Bedingungen fotografieren, das entschädigt mich für mein langes Warten auf solche Gelegenheiten. Neugierig und befremdet schauen mich die Marktarbeiter wie die Käufer hier in der Markthalle an.
Ich gehe auf einen Topf mit Bergfröschen zu, schaue den Tieren in die Augen und sehe ihren Blick. Sie scheinen durch mich hindurch zu schauen. Trauer, wie wir sie kennen ist es nicht, Resignation, Einsicht eines Fluchttieres, daß es bald gefressen werden wird? Ich kaufe diese weichen Lebewesen zwar nicht zum Verzehr, stamme aber aus der gleichen Gruppe von Raubtieren, welche diese wunderbaren Wesen fängt, züchtet, tötet und ißt. Das Fotografieren wird jetzt vielleicht noch zu einem Teil ihres Fegefeuerdaseins.
Hastig sammle ich ein hypothetisches Bild nach dem anderen, indem ich an einem Apparat herumdrehe und drücke und freue mich schon darauf, die konkreten Papierbilder von der hier und jetzt erlebten Wirklichkeit zuhause anschauen zu können.
Als letzte Station wird mir noch ein Besuch bei einem Bauern geboten, wie es heißt. Wir fahren 2 Stunden bis wir außerhalb der Stadt in einen bekannten Ort kommen, wo eine Schule für Bauernmalerei geführt wird. Diese Schule wird mir vorgeführt, eigentlich die Produkte der Maler und Malerinnen in Form einer Ausstellung einiger ihrer Bilder. Ins Atelier einer berühmten älteren Malerin werde ich auch noch geführt. Neben der äleren Künstlerin malt auch eine jüngere, wahrscheinlich unbekannte Malerin. Ihre Vorzüge trägt sie noch außen in ihrer haptischen Erscheinung und in der Organisation dieses Zustandes. Das Atelier ist äußerst karg eingerichtet. Unnahbar scheint sich die berühmte Künstlerin ihres Ranges bewußt zu sein, oder diese Beschau ihres Daseins und ihrer Bilder abzulehnen. Sie ist eine alte Frau und will sicher auch Ruhe von diesem Rummel haben. Ihre Bilder, wie praktisch alle anderen hier gezeigten Bilder auch sind in einem international wirkenden bäuerlichen Stil gehalten, der chinesische Motive stilisiert dekorativ am Blatt angeordnet zeigt. Es werden nur idealisierende Momente und Szenen des Lebens gezeigt. Die Farben sind schön, der Inhalt zeigt eine Welt, wie sie vielleicht geträumt wird, oder zu Träumen anregen kann, einen Bezug der Bildinhalte und Stimmungen in den Bildern zur Gegenwart der Autorinnen kann ich nicht erkennen.
Zum allerletzten Schluß kommen wir noch zu einem Bauern, der auch malt und auch berühmt ist, er hat schon stolze 91 Jahre gelebt und ist in einem einfachen Haus mit seiner Frau und seinem Sohn in gemeinsamem Haushalt. Spuren einer bäuerlichen Wohnatmospäre lassen sich hier vorstellen. Die Familie ist aber sicherlich auch ein Vorzeigefall, einige Dinge aus dem Haushalt der netten Leute scheinen auch wirklich im Alltag am Land lebender Menschen verwendet zu werden. Das Bett des Malers beeindruckt mich besonders. Seit seiner Hochzeit vor über 60 Jahren schläft der Mann darin. Es soll hier früher so Brauch gewesen sein, daß zur Hochzeit ein Bett fürs ganze Leben geschenkt oder angeschafft worden ist. Ein sehr schönes einfaches Bambusbett mit sorgfältig zur Seite gespannten seidenen Vorhängen steht ebenso archaisch wie sein Benützer nebeneinander zu einem Foto bereit. Das größte Bild im Raum zeigt ein Portrait Maos, sonst ist der Raum karg ausgestattet. Einige Schachteln stehen unter dem Bett, auf einem Arbeitstisch liegen neben vielen Farben, Pinseln und Tüchern ein halbfertiges Bild und Skizzen dazu. Es werden mir auch alte und neuere Bilder des Künstlers gezeigt. Eines der billigeren Bilder erwerbe ich aus Zuneigung und um damit diese mir fremde Welt in einem Punkt berühren zu können.
Während wir so reden und höflich uns erklären lassen, öffnet die Frau des Malers den Leib eines noch zappelnden Fisches für ein späteres Mahl. Diesen vitalen Akt kann ich fotografieren. Beim Verabschieden sehe ich noch in der Nachbarschaft Fischerinnen mit großen Netzen vorbeigehen. Die Reisfelder reichen bis zum Straßenrand der engen Wege und bis nahe an die Häuser heran. Das Hochwasser macht mir das Gefühl von Bedrängung von allen Seiten her. Fliegender Schmutz, wie Papiere, Verpackungsteile und Plastik verfangen sich in den Halmen der Reispflanzen.
Die alten Bauernhäuser sind vor ca 30 Jahren durch neue ersetzt worden. So sieht man hier kein einziges altes Haus mehr. Die Bauern leben in stereotypen Gebäuden, die wie einfache schmucklose Reihenhäuser bei uns aussehen. Diese Häuser lassen aber nicht weit in die Vergangenheit und in die Tiefe der Kultur ihres Alltagslebens schauen.
In den uns vorgeführten Museen habe ich keine Beispiele von Alltagskultur sehen können. Lediglich die reichen Schätze der Königshäuser, der Tempel, des Adels und der Großbürger bis zum Ende der letzten Monarchie. Relikte bewegten Lebens seit der Revolution bis in die Gegenwart haben sich in den Museen noch nicht niedergelassen. Gerade aber der Übergang vom alten historischen China in die Moderne müßte eine Menge interessantes Material zur geschichtlichen Darstellung und Entwicklung des Landes bieten.
Beim Nachhausefahren kommen wir noch bei einem Geschäft für Malerutensilien vorbei. Hier kaufe ich mir noch einige Bogen wunderschönes zartes chinesisches Papier, Pinsel und einige Tuben Malerfarben. Der erotische Reiz dieser kleinen exotischen feinen Dinge mit welchen sich Bilder zaubern lassen, macht mich aufgeregt. Ich bin zwar kein richtiger Maler geworden, wie ich als junger Mann geträumt hatte, aber diese heiligen Mittel zur Produktion von Wundern und Zeichen berühren mich in meinem Innersten, so als würde ich den Geruch alter Druidensäfte riechen, die ich von Kind an kennen und riechen gelernt habe und niemehr vergessen werde können.
Abends gibt es noch ein letztes Mal auf meiner Reise ein erinnerungswürdiges Abendessen.
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